Warum Sophie Scholl der bessere Che Guevara ist / Warum Klaus Dinger eine Straße in Düsseldorf verdient und Frank Zappa nicht / Und warum mehr Menschen wissen müssen, dass Düsseldorf eine Electri_City ist.
Mein bester Freund P. und ich haben ein kleines Problem – eines, das Woche für Woche größer wird: Bei unseren Flanier-Etappen entlang der Düssel kämpfen wir mit der „Anreise“. Fast immer treffen wir uns mittags, und da wir in Bilk (ich) bzw. in der Innenstadt (P.) arbeiten, haben wir anfangs mit den Fahrrad von unserem Büros bis zur Düssel nicht mehr als fünf bis zehn Minuten gebraucht, inzwischen sind es 15 bis 20.
Startpunkt heute: Die Düssel-Mündung des mysteriösen Ickbachs, den wir am Ende der vorherigen Etappe quasi spontan entdeckt haben – Google Maps sei Dank. Flankiert von einem der Südpark-Kunstwerke spazieren wir die schnurgerade Düssel entlang, die auf der anderen Seite vom einer Kleingarten-Kolonie begrenzt wird – Fortuna Düsseldorf-Fahne inklusive.
„Heute haben wir nur eine halbe Stunde, dann muss ich ins Büro zurück, dringende Besprechung“, sagt mein bester Freund P. und schaut auf seine Armbanduhr.
„Na super, das klingt ja total entspannt und entschleunigt“, sage ich ironisch – in Anspielung darauf, dass P. höchstpersönlich das Thema “Entschleunigung” bei unseren Düssel-Spaziergängen ins Spiel gebracht hat.
P.´s Augen grinsen. Er schießt zurück: „Was macht deine Smartphonesucht? Schon das Gegenmittel gekauft?“
„Nein, noch nicht“, sage ich. „Keine Zeit.“
„Bis wir die Düssel-Quelle erreichen, wirst du es schon schaffen.“
Wir passieren einen Abschnitt, an dem die Düssel breiter gelegt wurde, begrenzt durch eine kleine Betonmauer, und gelangen schließlich zu einer Brücke, hinter der ein Gebäude zwischen den Bäumen durchscheint, das nur eine Schule sein kann. Gibt es eigentlich Schulen, die nicht wie Schulen aussehen?
„Wahrscheinlich Gesamt- oder Berufsschule“, vermutet P., während wir uns über das Brückengeländer lehnen und das Richtung-Rhein-Strömen unseres Flüsschens beobachten „Die Gymnasien im Düsseldorfer Süden kenne ich alle.“
Ich zücke mein Smartphone, tippe bei Google Maps „Südpark“ in die Suchmaske und präsentiere P. das Ergebnis: „Elly-Heuss-Knapp Schule – ein Berufskolleg.“
„Elly Heuss-Knapp?“, fragt P., „nie gehört, muss man die kennen? Eine Düsseldorferin?“
„Hmm“, mache ich – und googele weiter. „Nein, gebürtige Straßburgerin, gestorben 1952 in Bonn. Sie war die Frau des ersten Bundespräsidenten Theodor-Heuss und hat das Müttergenesungswerk gegründet.“ Ich überfliege den Wikipedia-Eintrag. „Und hier noch was speziell für dich als Werbefuzzi: Sie hat die Radiowerbung revolutioniert und gilt als Erfindern des Jingles als Erkennungszeichen einer Marke.“
„Wow! Klingt spannend. Wo wir gerade bei Schulnamen sind: Letzens war ein Ehemaligentreffen in unserem Geschwister-Scholl-Gymnasium.“
„Wieder mal verpasst. Dabei waren wir noch vor kurzem beim Düssel-Flanieren nur ein paar Hundert Meter vom Schulgebäude entfernt.“
Als ich das sage, erinnere ich mich zuerst an 80er-Jahre-Jogging-Runden mit unserem Sportlehrer durch den Volksgarten, und dann an eine Geschäftsidee meines besten Freunds P., die mit den Geschwistern Scholl zu tun hat und über die ich letztens zufällig im Netz gestolpert bin. Besser gesagt: Eine ehemalige Geschäftsidee P.´s aus den 90ern, die nun andere verwirklicht haben. T-Shirts mit dem Konterfei der Widerstandskämpferin Sophie Scholl.
Ich tippe bei der Google-Foto-Suche „Sophie Scholl“ und „T-Shirt“ ins Handy und zeige P. das Ergebnis.
P. reagiert zerknirscht. „Mist, hätte ich das damals mal durchgezogen.“ Tatsächlich war P. kurz davor, die T-Shirts in Druck zu geben, hatte sogar schon ein Sophie Scholl-Profil im Layout entworfen. Dann kamen ihm moralische und rechtliche Zweifel: Darf man mit dem Gesicht einer jungen Studentin, die von den Nazis hingerichtet worden ist, Geld verdienen? Ist das überhaupt legal? Werden die Erben juristisch dagegen vorgehen? Wobei: Ums Geld verdienen ging es P. damals gar nicht. Er wollte nur eins: Sophie Scholl nach dem Vorbild von Che Guevara zur Ikone der Linken machen.
„Die Fotos, die sie mit dieser coolen Kurzhaarfrisur zeigen – die müssten in Deutschland allgegenwärtig sein, so wie Che Guevara“, sagt er. „Wie kann es sein, dass ein argentinischer Revolutionär, der auch für Hinrichtungen und Menschenrechtsverletzungen bekannt geworden ist, bei deutschen Linken ein Held, eine Symbolfigur ist – und Sophie Scholl nicht beziehungsweise vergleichweise viel weniger?“
„Vielleicht weil Linke, besonders wenn sie jung sind, oft von Revolutionen träumen“, sage ich. „Und weil ein mit Waffen kämpfender Macho-Mann mit Bart und langen Haaren dafür offenbar symbolträchtiger war als eine gewaltlose Widerstandskämpferin mit kurzen Haaren? Ein Bisschen wie in der Werbung, oder? Wer kann die Labels Revolution, Widerstand und Anderssein besser verkaufen?”
„Leider wahr, aber ist das immer noch so? Jedenfalls ist Sophie Scholl im Gegensatz zu Che immer noch keine Pop-Ikone, obwohl jetzt andere meine T-Shirts verwirklich haben.“
„Vielleicht wird sie es ja nach dem Blog-Post zu dieser Flanier-Etappe.“
„Klar, bei den Millionen, die uns folgen, wird das wohl nicht zu vermeiden sein. Dauert nicht mehr lange, dann finden wir Sophie Scholl bei H&M und C&A.“
Wir schweigen, folgen der Düssel entlang einer sanften, langen Kurve: vorbei am Parkplatz des Haus Deichgraf, das offenbar inzwischen unter dem Label „Events Restaurant Lounge“ firmiert, über die Brücke der Zufahrt, vorbei an einer weiteren Schule.
P. guckt mich fragend an. „Komm Smartphone-Junkie, heute machst du die Recherche.“
Ich tippe und finde: „Joseph-Beuys-Gesamtschule.“
„Schau an, hier wird also auch die lokale Prominenz geehrt“, sagt P. „Wenn das mal bei der aktuellen Straßenamenvergabe auch so wäre!“
„Du spielst auf die geplante Frank-Zappa-Straße in Flingern an?“
„Ja, lächerlich, oder?“
„Weiß nicht, finde ich eigentlich gar nicht schlecht.“
„Nee, finde ich blöd. Kommt so Möchtegern-jung-weltstädtisch rüber. Als ob sich ein paar Ex-Hippies aus der SPD-Bezirksvertretung an ihr altes WG-Poster erinnert haben und der CDU nun eine lange Nase zeigen wollten. Nach dem Motto: Ätsch, jetzt sind wir an der Macht, und wir machen gleich mal was ganz Verrücktes. Hätten sie sich wenigstens für Janis Joplin oder sonstwen aus der Rock&Roll Hall of Fame entschieden. Stattdessen haben sie lieber nummersichermäßig die Idee aus Berlin kopiert. Dort gibt es schon seit ein paar Jahren eine einzige Straße, die nach einem Popstar benannt ist, und die heißt zufällig Frank-Zappa-Straße. Die erste in Europa. Weißt du: Ich liebe Düsseldorf, und ich liebe Berlin, aber Düsseldorfer, die einen auf Berlin machen, sind wirklich schwer zu ertragen!”
Wir gelangen an die Siegburger Straße, bleiben stehen, schauen auf die Düssel herab, die hier aus dem Tunnel heraus- und in den Südpark hineinströmt. Derweil redet sich P. in Rage: „Alter, was hat Frank Zappa mit Düsseldorf zu tun?! Okay, er ist mal im Ratinger Hof aufgetreten, und wer weiß, vielleicht hat er dort sogar bleibende Spuren hinterlassen und die Toilette zugeschissen oder ins Waschbecken gekotzt. Aber für Düsseldorf als Stadt hat er nichts geleistet.“
„Ist das so entscheidend? Die Geschwister Scholl kamen auch nicht aus Düsseldorf, und trotzdem ist unsere Ex-Schule nach ihnen benannt. Wenn hättest du denn gerne als Namensgeber für eine Straße?“
„Wenn schon ein Musiker, dann jemand aus der Szene rund um Kraftwerk und Krautrock. Auch wenn das viele gar nicht wissen: Ohne unsere Stadt hätte es die elektronische Musik nie gegeben,weltweit. Düsseldorf – die Electri_City: Konntest du im letzten halben Jahr in allen deutschen Feuilletons nachlesen, von Spiegel Online über Welt bis Taz. Und vor einer Woche hat sogar eine australische Zeitung drüber geschrieben …“ P. tippt kurz etwas in sein iPhone – und präsentiert mir einen Artikel aus der Sydney Morning Tribune.
Titel: „How Dusseldorf became the birthplace of modern Electronica“.
Unter anderem ist zu lesen:
Despite the international acclaim generated by the musicians of
Dusseldorf, the town is not one to celebrate its homegrown heroes. There
are no statues recognising their achievements, no streets named after
their bands.
„Nicht schlecht“, sage ich. „Und wer konkret ist denn nun dein erster Kandidat als Straßenpate?“
„Klaus Dinger.“
„Schon mal gehört, aber ich kann ihn nicht direkt zuordnen.“
P. guckt mich an, in einer Mischung aus Ärger und Mitleid: „Kulturbanause! Klaus Dinger war Mitglied der Düsseldorfer Gruppen Kraftwerk, Neu! und La Düsseldorf und wird von Musikern weltweit verehrt. Leider ist er bereits 2008 gestorben.“
„Klaus-Dinger-Platz, Klaus-Dinger-Allee, Klaus-Dinger-Straße – klingt alles nicht schlecht. Aber kennen den unsere Lokalpolitiker überhaupt?“
„Die meisten nicht, aber dafür kennen jetzt sicher alle Frank Zappa. Doch im Ernst: Nach der langen CDU-Herrschaft kann die Ampel-Koalition die Musik- und Subkulturszene der Stadt nur beflügeln. Ist schon einiges passiert, und im Oktober passiert etwas besonders Tolles. Nächste Woche erzähle ich dir mehr.“
„Nächste Woche hier an der Brücke?“
„Sagen wir mal: Spätestens übernächste!“