Die lustigsten 50 Euro meines Lebens

in Köln/Kurzgeschichten

Die Begegnung mit einer Flatulenz-Virtuosin in einer Sparkassen-Filiale in Köln. Oder: Wie mein Hund die Kölnerin mit dem schrägsten Hobby traf.

Wir sind allein. Mittags in einer Kölner Sparkassen-Filiale. Ich und mein Hund. Mal eben Geld abheben. Als ich in der Jacke nach meinem Portemonnaie suche, betritt eine weitere Person den vom Schalterraum getrennten Geldautomatenbereich. Die Absätze ihrer hohen Schuhe klackern über den Boden. Ich schaue kurz auf – und sehe vorbeihuschen: Eine konservativ gestylte Businessfrau, etwa Mitte Dreißig, blauer Mantel, Stoffhose, teure Handtasche.

Vor uns: eine Reihe von fünf oder sechs Automaten zum Ein- und auszahlen oder Kontoauszügeziehen. Ganz in Gedanken und ohne mich zu registrieren strebt die Businessfrau auf den Automaten am linken Rand zu. Ich stehe ganz rechts, der Hund hockt neben mir. Meine EC-Karte habe ich inzwischen gefunden. Ich stecke sie in den dafür vorgesehenen Schlitz, wähle „Bargeldabhebung“, gebe meine Geheimnummer ein. Dann tippe ich auf „50 Euro“.

Ihr kennt sicher dieses Bankomatgefühl: Man wartet fünf bis zehn Sekunden, in denen PIN und Wunschsumme verarbeitet werden – und hofft, dass das Gerät mit dem typischen (und irgendwie beruhigenden) Rattern möglichst schnell die gewählten Scheine sortiert und ausspuckt.

Genau in diesen Moment der gespannten Stille hinein passiert es: Vier Automaten neben mir lässt die Businessfrau einen fahren! Nicht, was Ihr jetzt denkt: Keinen zarten Zischer. Auch keinen femininen Aus-Versehen-Pups. Nein, mit Verlaub, es ist ohne Zweifel der lauteste Furz, den ich jemals in meinem Leben gehört habe. Man könnte, ohne zu übertreiben, den Begriff „Maschinengewehr“ ins Spiel bringen.

Knatter, Knatter, Knatter.

Ich stehe mit offenem Mund vor dem Automaten. Der Furz dauert an – nur die Knatter-Lautstärke nimmt langsam ab. Die Businessfrau scheint das Geräusch geradezu genüsslich in die Länge zu ziehen. Längst hat sie die Fünf-Sekunden-Marke geknackt. Inzwischen hört sich die Entladung eher gedrosselt an – so als würde eine Maschine ihre Leistung herunterfahren. Und dann, genau in dem Moment, als ihrem Lüftchen die Kraft auszugehen scheint, drückt sie noch mal voll auf die Tube. Das Resultat: Ein finaler, nun wieder etwas lauterer Absacker. Vollstreckt!

Erster Gedanke in meinem Kopf, noch während des Vollzugs: Hoffentlich kommt kein Land mit! Zweiter Gedanke, Sekundenbruchteile nach dem Finale: Das waren bestimmt acht Sekunden. Was für eine Körperbeherrschung! Dann schaltet sich mein Verstand ein: Ist es real, was hier gerade passiert? Oder bin ich Opfer der versteckten Kamera? Solche Frauen furzen doch nicht öffentlich! Frauen furzen überhaupt nicht öffentlich!

Endlich beginnt mein Geldautomat zu rattern: Und genau in dem Moment, als ich wie in Trance zwei Zwanziger und einen Zehner entnehme und in mein Portemonnaie stecke, höre ich das gleiche Automaten-Rattern noch einmal aus Richtung der Flatulenz-Virtuosin. Immer noch wie gelähmt schaue ich zu ihr herüber, verlasse in Zeitlupe den Sichtschutz meines Geldautomaten. In den rund 20 Sekunden, die seit dem ersten Ton vergangen sind, hat sich mühsam unterdrücktes Lachen in mir angestaut. Noch beherrsche ich mich, noch lasse ich es nicht heraus.

Konzentrieren! Vielleicht hat die Businessfrau mich ja noch gar nicht bemerkt. Muss ich in Deckung bleiben, sie dadurch in Schutz nehmen? Ihr so die Peinlichkeit ersparen? Vielleicht hat sie etwas Schlechtes gegessen. Rein optisch wirkt sie nicht wie jemand, dem man zutraut, in seiner Freizeit mit möglichst langgezogenen Blähungen die Tonleiter zu bespielen. Ist ihr Marathon-Furz also bloß ein Zufallsprodukt? Nein, dafür schien er zu sehr geprobt, zu sehr performt, zu routiniert. Klare Sache: Diese Frau ist kein Newcomer, diese Frau ist ein passionierter Profi. Und wenn ihre Disziplin jemals olympisch wird, hat sie gute Chancen, auf dem Treppchen zu stehen.

Die Businessfrau, die inzwischen ebenfalls ihr Geld aus dem Automaten in Empfang genommen zu haben scheint, lugt zu mir herüber: Ihr „Mist, ich bin ja gar nicht allein“-Moment. Sofort entgleiten ihr die Gesichtszüge. Als ihr verstörter Blick den meinen trifft, wird die Stille von einem lauten
Niesen meines Hundes durchbrochen. Eigentlich nichts Besonderes: Das macht er zwei bis drei Mal am Tag. Doch warum gerade jetzt? Riecht er bereits ihre Gase? Können menschliche Fürze tierisches Niesen auslösen? Das müsste ich mal googeln.

Wie auch immer – an diesem Ort, in diesen Moment habe ich einer bizarren Symphonie beigewohnt: Erst das Knattern der Businessfrau, dann das Rattern der Geldautomaten, schließlich das Niesen meines Hundes. Zeitlich perfekt aufeinander abgestimmt.

Knatter, Knatter, Knatter / Ratter, Ratter, Ratter / Hatschiwuff, Hatschiwuff, Hatschiwuff.

Fehlt nur nur noch, dass im nächsten Moment die Preisrichter ihre Kärtchen hochhalten und sich das Publikum zu stehenden Ovationen erhebt. In jedem Fall wirkt das Hunde-Niesen auf die Businessfrau und mich wie ein Startsignal – nach dem Motto: Ach komm, was solls, jetzt ist es auch egal. Langsam legt sich ein Lächeln auf ihr Gesicht. Sie hebt die Schultern.

Was soll das bitte sein? Eine Geste des Bedauerns?! Ich winke ab, zeigt ihr das „Daumen hoch“-Signal. Ironische (und doch ein Bisschen ernst gemeinte) Botschaft ohne Worte: Gut gemacht! Dann entwischt mein Lachen aus seinem Gefängnis. Ich pruste los, und immer, wenn ich denke, es hört gleich auf, geht es wieder von vorne los: Lachflash! Die Businessfrau stimmt ein. Erst etwas zaghaft, dann aus vollem Hals. Wir lachen gemeinsam, halten aber räumlich Abstand, jeder vor „seinem“ Geldautomaten. Plötzlich, mittendrin – als hätte es Klick in ihrem Kopf gemacht – stürmt sie zur Tür. Ihre Absätze klackern, und schon ist sie weg. Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen.

Was für ein Auftritt! Ich lache noch eine Weile weiter. Die gesamte Szene hat kaum mehr als zwei Minuten gedauert. Mein Hund wedelt mit dem Schwanz, sucht Nähe. Ich bücke mich, kraule ihm den Nacken. Wer weiß, was so ein fremder Furz in seinem hochempfindlichen Riechorgan auslöst? Immerhin: Bis zu meiner Nase ist der Geruch noch nicht durchgedrungen. Schnell raus hier, bevor sich das ändert! Ich komme wieder zu Atem, verlasse den Geldautomatenraum. Frische Luft!

Über das Pups-Motiv der Businessfrau kann ich im Nachhinein nur spekulieren. Klar, in lustiger Runde unter Männern soll es schon mal passieren, dass einer ordentlich einen lässt – und dafür sogar Applaus gezollt bekommt. Männliche Kernkompetenz, sozusagen.

Ist die Businessfrau in diesem Sinne eine Guerilla-Kämpferin für die Gleichberechtigung beim Sich-Danebenbenehmen? Eine Alice Schwarzer mit Flatulenz-Kompetenz? Oder haben wir es in diesem Fall gar mit einem kölschen Phänomen zu tun? Einer Art Vorbereitung auf den nahenden Karneval? Eines ist klar: Ich werde eher eine Million im Lotto gewinnen, als noch einmal so eine Situation zu erleben. Danke Businessfrau im blauen Mantel! Auch wenn Du ein schräges Hobby hast: Das waren die lustigsten 50 Euro meines Lebens …

P.S. Wo genau in Köln das alles Anfang Februar 2017 passiert ist, verrate ich nicht. Wenn die Betroffene diesen Text zufällig lesen sollte, wird sie sich garantiert wiedererkennen 😉

Die Geschichte kann auch auf meinem facebook-Profil  liken, kommentieren und teilen. Außerdem kann man sie als Mitschnitt einer Lesung vor Publikum im Podcast zum Blog verfolgen.

 

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