(#18) Der mysteriöse Ickbach

in Düsseldorf

Was gegen Smartphone-Sucht hilft / Wie Spandau Ballett die Philipshalle rocken / Und warum die Düssel der unbekannteste bekannte Fluss und der Ickbach der bekannteste unbekannte Bach ist.

Bei der heutigen Etappe ist mein bester Freund P. pünktlich – ich bin es nicht, und noch ahne ich nicht, dass das Thema „Zeit“ gleich eine wichtige Rolle spielen wird: P. wartet an der Jonges-Brücke, die über die Düssel führt – hier zu einem langgezogenen Teich angestaut. 

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Wir überqueren die Jonges-Brücke, und P. kommt gleich zur Sache. Es geht um die Frage, die er eigentlich schon bei der vorletzten Düssel-Flanier-Etappe klären wollte: Was kann ich – der potenzielle Smartphone-Junkie – tun,  um meine Sucht zu bekämpfen? P. hat mir zwei Tipps versprochen.

„Hast du eine Armbanduhr?“, fragt er.

„Nein, schon seit rund zehn Jahren nicht mehr.“

„Warum nicht?“

„Weil ich immer das Handy nutze, um die Uhrzeit zu checken.“

„Und wie oft bleibst du dann hängen, schaust mal eben, was bei Facebook oder Spiegel Online passiert?!“

Ich zucke die Achseln, darüber habe ich noch nie nachgedacht. „Sehr oft, befürchte ich.“

„Kauf dir also wieder eine Armbanduhr! Und am besten lädst du dir noch heute die App Menthal auf dein Smartphone.“

„Menthal? Prüft die meinen Geistezustand?“

„So ähnlich. Sie analyiert, wieviel Zeit du am Tag mit deinem Telefon verbringst und welche Anwendungen du dabei wie oft und wie lange nutzt.“ Im Vorbeigehen zeigt P. auf ein Kunstwerk, das in der aufgestauten Düssel leuchtet.

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„Die App verrät dir außerdem, wie oft du am Tag das Handy einschaltest“, fährt P. fort.

„Hört sich spannend an!“

„Habe sogar noch einen dritten Tipp! Sicher nutzt du bei deinem Smartphone auch die Weckfunktion und bist dann direkt nach dem Aufwachen schon wieder online unterwegs, oder?“

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Wir passieren ein weiteres Kunstwerk, das über der Düssel baumelt, kommen am Biergarten Vierlinden vorbei, der noch geschlossen ist und zu dem zwei Brücken über die Düssel führen. An dieser Stelle findet unser Flüsschen in sein „normales“ Bett zurück.

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„Verstehe“, sage ich. „Ich soll mir also …“

„… auch noch einen neuen Wecker kaufen. Einen richtigen!“

Es folgt ein typischer P.-Themenwechsel, von einer Sekunde auf die andere. P. zeigt Richtung Philipshalle, die man hinter den Bäumen erahnen kann. „Wir haben letzte Woche von Kim Wilde und Skakin Stevens gesprochen. Aber weißt du, wenn ich dort zuletzt live gesehen habe?“

„Keine Lust auf eine Raterunde! Howard Carpendale wird es nicht gewesen sein.“

„Fast. Ich war bei Spandau Ballett!“, sagt P. „Aber nur, weil meine Frau es sich gewünscht hat.“

„Und?“

„Es war zwar bestuhlt, aber gar nicht so schlimm. Ehrlich gesagt: Es war erstaunlich gut – obwohl ich die Band früher immer scheiße fand. Aber die alten Herren haben den Laden gerockt, es war … irgendwie rührend und würdevoll. Und …“

Diesmal bin ich es, der P. unterbricht: „… du bist bei den alten Hits nostalgisch geworden?“

„Ja, ein Bisschen. Aber am besten war das Medley der eher elektronischen Songs aus der Frühphase, bevor Spandau Ballet richtig bekannt wurden.“

Wir erreichen einen fast rechtwinkligen Flussknick. Klares Wasser, sehr flach an dieser Stelle, keine Fische zu sehen. Dafür surft P. zum nächsten Thema: „Warst du drüben in dem Biergarten schon mal im Open Air Kino?“

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Ich schüttele den Kopf. Theatralisch zieht P. sein iPhone aus der Jackentasche –„Ich darf das!“ – und tippt etwas ein. „Meine Frau wollte da im Sommer mal hin, wenn wir einen Babysitter haben.“

Das Open Air-Kino-Programm findet P. nicht, dafür bleibt er beim automatisch mit angezeigten Eintrag auf Google Maps hängen: „Du, hier kurz nach der Düssel-Kurve ist ein Bach verzeichnet. Der Ickbach.“

„Ickbach? Nie gehört.“

Wir lesen bei Wikipedia nach:

Der Ickbach ist ein Bach in Düsseldorf. Um das Jahr 1900 wurde er unterirdisch kanalisiert, seitdem verläuft er komplett unterirdisch und ist auf aktuellen Stadtplänen nicht mehr verzeichnet, sein genauer Verlauf ist nicht bekannt. Sein Nord- und sein Südarm vereinigen sich in Oberbilk und münden kurz darauf in die Düssel. Eine nach ihm benannte Straße verlief auf dem Gelände des heutigen Rheinbahnbetriebshof in Lierenfeld. Das nach ihm benannte Dorf Icklack findet sich noch heute im Straßennamen An der Icklack. Ende 2010 war der Ickbach in der lokalen Presse zu finden, als bei Bauarbeiten ein „unterirdisch verrohrtes Gewässer“ gefunden wurde.

Mein bester Freund P. schaut auf seine Armbanduhr. „Weil du eben zu spät warst, haben wir jetzt nur noch zehn Minuten Zeit. Lass uns diesen Ickbach suchen! Laut Karte dürfte er nicht mehr als dreißig Meter von uns entfernt in die Düssel münden.“

Die Sonne kommt raus. Wir schlagen uns entlang der Düssel durchs Gebüsch. Auf der anderen Seite liegt ein Kleingartenareal, das Ufer ist dicht mit Sträuchern und Gestrüpp bewachsen. Wir zwängen uns zwischen den Zweigen hindurch zum Wasser. Eine Armada von winzigen Insekten schwirrt um unsere Köpfe. Die Mündung des mysteriösen Ickbachs in die Düssel muss laut Karte auf der anderen Flussseite liegen. Wir suchen und suchen.

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Nichts zu sehen. Bis P. sagt: „Da vorne, das sieht aus wie ein Rohr, das müsste er sein.“

Tatsächlich: Wenn man seine Augen anstrengt, ist zwischen den Sträuchern am anderen Düssel-Ufer im Dunkeln eine Öffnung zu sehen, allerdings ohne jede Strömung und im Schatten versteckt. P. macht mehrere Fotos, doch vom Ickbach zu sehen, ist darauf so gut wie: nichts.

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„Vielleicht zeigt dieser Ickbach ja im Herbst oder Winter mehr von sich“, sage ich. „Wenn weniger Blätter seine Mündung verdecken und mehr Wasser in ihm fließt.“

„In was für einer Welt leben wir eigentlich?, sagtfragt P. mit ironischem Unterton.

„In einer, in der Smartphones süchtig machen“, sage ich.

„Ja, aber auch in einer, in der man mit dem Smartphone am Rande des unbekanntesten bekannten Flusses den bekanntesten unbekannten Bach finden kann, dessen Quelle und Verlauf keiner mehr kennt“, sagt P. „Wobei: Kann das eigentlich sein, dass auch eine Quelle kanalisiert wird? Und dass der Verlauf eines Baches innerhalb von nicht viel mehr als hundert Jahren komplett vergessen ist?“

„Ohne Smartphone hätten wir den Ickbach jedenfalls nicht gefunden!“, sage ich.

„Und für die Blog-Fotos extra eine Kamera mitnehmen müssen …“, ergänzt P.

„Aber wieso sagst du, der Ickbach sei bekannt, wenn ihn doch eben keiner kennt?“

„Weil er schon zwei Mal in der Zeitung stand, in der WZ und in der RP. Und weil er – warum auch immer – nicht nur einen deutschen, sondern auch einen englischsprachigen Wikipedia-Eintrag hat. Eine internationale Berühmtheit ohne Gesicht, sozusagen. Es scheint da irgendwo eine Ickbach-Lobby zu geben …“

“Und wieso ist die Düssel der unbekannteste bekannte Fluss?”

“Weil sie im Gegensatz zum Ickbach jeder kennt,sie von der Stadt, die ihren Namen trägt, aber eher stiefmütterlich behandelt wird.”

Ich zücke mein Smartphone, checke die Uhrzeit. „So, genug Blabla für heute. Ich muss arbeiten. Nächste Woche wieder?“

„Nächste Woche wieder!“

„Mit Armbanduhr?“

„Mit Armbanduhr. Und einem neuen Wecker zu Hause. Aber immer noch mit Smartphone! Ganz ohne geht’s nicht … Haben wir ja gerade gesehen.“

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