Wie man sich über Leser-Feedback freut / Warum Helge Schneider einen „Poppen“-Hintergrund hat und Angela Merkel nicht / Und warum Wohnen in Wersten vollkommen unterschätzt wird.
Düsseldorf-Wersten, auf der gelbgeländerigen Düssel-Brücke, wo wir uns beim letzten Mal verabschiedet haben. „Hat viel zu lange gedauert die Flanier-Pause“, sagt mein bester Freund P.
„Stimmt“, sage ich. „Aber Job geht vor Vergnügen.“
„Wie? Ist dein Job etwa kein Vergnügen?“, fragt P.
„Meistens schon“, sage ich. Blitzgedanke im Kopf: `Geldverdienen geht vor Vergnügen´ wäre treffender gewesen. „Und deiner?“
„Manchmal nicht“, sagt P. „Aber dann denke ich daran, dass ich gerade dabei bin, Geld zu verdienen.“
„Weißt du, was mir in den vergangenen Wochen großes Vergnügen bereitet hat?“, frage ich.
P. schüttelt mürrisch dem Kopf – wie ein schlechter Schauspieler, der versucht, mürrisch den Kopf zu schütteln – und grinst. Guter schlechter Schauspieler! „Dass wir in der kreativen Zwangspause so viel Leserfeedback bekommen haben“, sage ich.
P. guckt mich fragend an.
„Die Leser erzählen zum Beispiel, dass sie in diesem oder jenem Haus gewohnt haben, das auf unseren Blog-Fotos zu sehen ist“, sage ich. „Oder sie erzählen von der Nutria-Familie, die früher auf Höhe Nixenstraße an der Düssel gewohnt hat, dann aber plötzlich verschwunden ist.“
„Nutria-Familie? Wer sind die denn? Kenne ich die? Sind die prominent?“
„Nutrias stammen ursprünglich aus Südamerika, gehören zur Gattung der Meerschweinchen, werden im besten Fall für Biber, im schlechtesten für zu groß geratene Ratten gehalten. Auf der Facebook-Seite zum Blog hat eine Leserin ein Foto gepostet.“
„Tu mir einen Gefallen“, sagt P. und legt eine Hand auf meine Schulter. „Lass uns die nächste halbe Stunde weder über Flüchtlinge, noch über die Anschläge in Paris reden.“
Über derart abrupte Themenwechsel rege ich mich schon lange nicht auf. Keine Ahnung, wo P. das herhat. Von seinen Eltern, die ihm nie richtig zugehört haben? Oder ist das eine Werber-Krankheit? Egal, denke ich und sage: „Wollte dir ohnehin die Fortsetzung unseres Experiments vorschlagen.“
„Welches Experiment?“, fragt P. – offensichtlich ein wenig enttäuscht über meine kurzsilbige Antwort.
„Jeder nimmt eine Seite“, sage ich und zeige mit der Hand abwechselnd auf die beiden Ufer der Düssel. „Du links, ich rechts. Und vergiss nicht, ein paar Fotos zu machen. Dann können wir im Blog zwei Perspektiven zeigen.“
Mein bester Freund P., der am heutigen Tag gesprächsfaulste Düssel-Flaneur aller Zeiten, spaziert ohne ein Wort zu verlieren zu seiner Düssel-Seite.
Los! Ich sehe P. am anderen Ufer. Bei ihm: Ein Trampelpfad. Bei mir: Die Werstener Uferpromenade, sozusagen. Ein befestigter Spazierweg, parkmäßig-offiziell. Am Anfang recht breit, dann schmaler. Nach einiger Zeit zweigt unten ein Ufer-Trampelpfad ab, während der offizielle Weg nach oben hin abknickt und weiter parallel zur Düssel verläuft, begrenzt von wechselnden Zaunvarianten der angrenzenden Privatgärten – einmal quer durch die Baumarktkollektion. Gelbes Laub, leuchtendes Herbstlicht, Indian Summer in Wersten. Schön! An dieser Stelle muss mal gesagt werden: Wohnen in Wersten wird vollkommen unterschätzt! Nur komisch, dass außer einer Omi mit Dackel keiner die Idylle zu genießen scheint.
Ein Blick auf Google Maps zeigt mir, dass wir heute nicht allzu weit kommen werden. In circa 500 Metern wird die Düssel nach links abbiegen und erneut unter der Autobahn verschwinden. Ich atme tief ein. Wenn ich ehrlich bin, habe auch ich heute keine große Lust, mich zu unterhalten. Eigentlich gar nicht so schlecht, diese Zwei-Ufer-Lösung. Wer weiß, wie oft das noch möglich sein wird auf dem Weg zur Quelle.
An einen Baum ist ein Schild gepappt, das auf eine Zirkusveranstaltung für Kinder hinweist. Hundert Meter weiter sehe ich das Zelt. Es steht auf dem Gelände eines Backsteinhauses, das wie ein Jugendzentrum aussieht. Zu hören: Kinderlachen, eine Gitarre, eine männliche Stimme, die „Fitze Fitze Fatze“ von Helge Schneider singt. Frühkindliche (Humor-)Bildung durch Helge Schneider-Studium scheint mir nicht das schlechteste – jedenfalls solange das Wort „poppen“ nicht vorkommt. Keine Ahnung warum: Aber wenn ich an Helge Schneider denke, denke ich sofort an „Poppen“. Nicht die Aktivität, nur das Wort. Ja, klingt bescheuert, ich weiß. Und ich weiß nicht, ob Helge Schneider “Poppen” sogar höchstpersönlich erfunden hat. Könnte doch sein. Kurz gegoogelt. Drei Wörter: Helge Schneider Poppen. Resultat: 21.600 Treffer. Und siehe da: Ich bin nicht der einzige, der Helge als Schöpfer vermutet.
Zum Abgleich tippe ich noch schnell „Angela Merkel Poppen“ in die Google-Suchmaske ein. Rein intuitiv. Ich erhalte 48.500 Treffer. Der erste führt auf eine Satire-Seite: Zu sehen sind Demonstranten, die ein Banner mit der Aufschrift “Angela Merkel poppen, Grundgesetz schützen” mit sich führen.
Der zweite Google-Treffer führt auf eine Facebook-Seite namens: “Angela Merkel würde glaub niemand freiwillig poppen :D”. Je deftiger die Leute über Politiker lästern, desto schlechter ist ihre Rechtschreibung.
Was so ein Düssel-Spaziergang an bahnbrechenden Erkenntnissen mit sich bringt. Faszinierend! Weiter. Auf der anderen Ufer-Seite hat mein bester Freund P. inzwischen sein Handy am Ohr, führt gestenreich ein Gespräch. Voll im Stress der Gute! Seine Agentur hat einen wichtigen Kunden verloren, und jetzt strampeln sich alle ab und pitchen mit anderen Agenturen um die Wette. Und P. kann sich bald „Überstunde“ als zweiten Vornamen eintragen lassen. Na ja, wenigstens kann er dann nicht um andere Frauen pitchen und kommt jeden Abend als braver Familienvater zurück ins „Eigentlich würden wir lieber im Altbau wohnen“-Reihenhaus.
Eine weitere Fußgänger-Brücke quert den Fluss. Drunter her spaziert, begleitet von einer strahlend weißen Ente. Notiz im Hinterkopf: „Die weiße Ente von Wersten“. Falls ich jemals auf die Idee kommen sollte, einen Entenkrimi zu schreiben … Ansonsten: Baumspiegelungen auf der Düsseloberfläche. Und rechts von mir ein Neubauprojekt. Prognose: 2016 steigt hier die Kinderwagenquote. Weil: Ist ja irgendwie noch Stadt, nicht ganz so teuer, man kommt schnell nach Bilk und ins Zentrum, hat den besten und coolsten Metzger der Stadt vor der Tür und muss nicht in die Einöde nach Mettmann oder Viersen ziehen. Und außerdem verläuft die Werstener Riviera vor der Tür. Hier, entlang der Düssel. Fehler nur noch ein vernünftiges Café …
Am anderen Ufer: Mein bester Freund P., schlendernd, immer noch telefonierend. “Sein” Trampelpfad wird inzwischen nicht mehr von dem Park auf der Autobahntunneldecke begrenzt, sondern von einer Lärmschutzwand. Vor mir: Die nächste Brücke, und die hat ein anderes Kaliber. Ein Blick auf Google Maps zeigt: Hier verbindet das „Werstener Feld“, das in Wirklichkeit eine Straße ist, über die Düssel und die A46 hinweg die Stadteile Wersten und Eller miteinander. Hinsetzen auf das unter der Brücke ausgesetzte Sofa? Nein, weiter. In 50 Metern werde ich auf P. treffen, und zwar genau über der Stelle, an der die Düssel in einer Röhre unter der Autobahn verschwindet.
P. fuchtelt mit den Händen, zieht eine Grimasse, hebt entschuldigend die Schultern. Als ich neben ihm stehe und auf den Fluss und die Werstener Feld-Brücke blicke, zündet P. gerade ein wahres Floskelfeuerwerk: „Ja, das verstehe ich …. (….) Ja, aber ich bin mir sicher, wir werden auch hier zu einer Lösung kommen, mit der Sie zufrieden sind. (….) Ja, diesen Punkt werden wir noch einmal intern prüfen. (…) Nein, dem ist ganz sicher nicht so. (…) Oh, entschuldigen Sie bitte für eine Sekunde, ein Kollege kommt gerade auf mich zu.“ P. hält die Hand über sein Smartphone und flüstert: „Sorry Alter. Ein wichtiges Gespräch.“
„Vergnügen?“, frage ich und ziehe eine Augenbraue hoch.
„Job“, sagt er und legt die Stirn in Falten. „Lass uns zurückgehen, jeder auf seiner Düssel-Seite. Das Gespräch dauert noch länger. Ich sag schon mal Tschüss. Wir sehen uns nächste Woche.“ Und dann schaltet er wieder um in den Floskelmodus und spricht in sein Handy: „So, da bin ich wieder. Entschuldigen Sie bitte die Unterbrechung. Also …“
Eine Viertelstunde später liegt die heutige Flanieretappe hinter uns. Und da P. mit dem Smartphone schlecht Fotos machen kann, während er telefoniert, bin ich es, der auf dem Rückweg dafür sorgt, die Düssel auch vom anderen Ufer aus schnappschussmäßig in Szene zu setzen. Ich muss nur aufpassen, dass P. nicht ins Bild läuft. Schließlich ist das Düssel-Flanieren immer noch unser geheimes Mittagspausen-Hobby, und keiner darf ihn erkennen. Erst als ich mein Fahhrad aufschließe, fällt mir der Schriftzug an der Mauer gegenüber auf: Im Herzen von Wersten …