(#24) Schnauzbartstudium

in Düsseldorf

Wie sich die Düssel von Friedhöfen abgrenzt / Wie Oberlippenbärte Generationen spalten / Und wer als ironische Anspielung auf Ironie-Schnäuzer einen Ironie-Schnäuzer  trägt.

Jetzt wird es spannend: Unbekanntes Düssel-Ufer entdecken. Zumindest gilt das für meinen besten Freund P. und mich. Unterbilk, Bilk, Volksgarten, Südpark, Wersten – dort hatten wir in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder mal „Düssel-Kontakt“. Aber in Eller: Noch nie.

Das gemeinsame Zeitfenster in unserem Job-Familie-Bioladen-Bau(ern)markt-Alltag öffnet sich um 16.30 Uhr.

„Beeil dich!“, mahnt P., als wir auf dem Parkplatz vor dem Friedhof Eller aus dem Auto steigen. „Gleich ist es dunkel, dann kannst du keine Fotos mehr machen.“

Wir betreten den Friedhof, werfen einen Blick auf die Übersichtskarte. Dort sind nicht nur „Kriegsopfer 2. Weltkrieg“ und „Russ. Kriegsopfer“ eingezeichnet, sondern auch unser Flüsschen: Es verläuft parallel zum Friedhofsrand, kurz bevor es in dem Unter-der-Autobahn-Tunnel hineinfließt und da rauskommt, wo wir es bei der letzten Etappe verlassen haben.

Drei Minuten später stehen wir vor dem Friedhofszaun, die Düssel-Mulde ist dahinter zu erahnen, ebenfalls eine Art Spazierweg.

„Scheiße“, sage ich. „Weder auf der Friedhofskarte, noch auf Google Maps ist sichtbar eingezeichnet, dass der Weg außerhalb des Friedhofs verläuft.“

„Ruf doch mal bei Google an und beschwer dich“, sagt P. „Außerdem solltest Du als verantwortungsvoller Familienvater das Wort Scheiße aus deinem Wortschatz streichen, du Arschloch!“

„Und wie kommen wir jetzt zur Düssel?“, frage ich und zeige ihm den Stinkefinger. Höflichkeit unter Freunden.

„Vielleicht von da aus“, sagt P. und deutet mit dem Zeigefinger auf die hinter blattlosen Bäumen erkennbare Brücke.

image
image

Kommando zurück, raus aus dem Friedhof. Weitere drei Minuten später stehen wir auf dem Brückenabschnitt des Werstener Felds – der Straße die Düsseldorf-Wersten und Düsseldorf-Eller über die A46 alias Südlicher Zubringer (lange nicht mehr gehört das Wort) hinweg verbindet. Auf der anderen Straßenseite: Tatsächlich eine Treppe nach unten.

Und unten ein Weg, der hundert Meter weiter zum Düssel-Begleiter wird. Dort, wo uns vorher der Zaun den Weg versperrt hat. Warum nicht gleich so …

Noch ist es hell genug, um Fotos zu machen. Wir stehen auf der Decke der Autobahn-Unterführung, schauen über das Geländer: Die Düssel, durch tagelangen Regen etwas fülliger als sonst, kommt uns in einer sanften Kurve entgegen. Wir folgen ihr stromaufwärts.

image

Die Sonne geht unter. „Beeilung“, sagt P. „Sonst reichen die Fotos nicht für eine Blog-Folge.“

Den Spazierweg entlang, parallel zum Fluss. Ein Fluss, der sich wenig später teilt. Google Maps verrät meinem Smartphone Details: „Der linke Arm ist die Düssel, der rechte der Eselsbach“, sage ich.

„Eselsbach“, sagt P. „Cooler Name!“

image
image
image
image

„Sag mal“, beginne ich. „Apropos Esel. Was soll das mal werden zwischen deiner Nase und deinem Mund?“

P.  – seit einigen Wochen ohne Hipster-Vollbart unterwegs – streicht sich über  die Drei-Tage-Stoppeln. Erste Anzeichen eines Oberlippenbart-Revivals? „Eine Rotzbremse?“, hake ich  nach. „Ich dachte, die Zeit mit dem Joey Silvera-Gedächtnis-Balken hättest du hinter dir.“

Stammleser dieses Blogs erinnern sich vielleicht: P.´s Zeit als Ironie-Schnauzbart-Träger war hier schon einmal Thema.

Mein bester Freund P. grinst. Dann sagt er: „Nur vergessen mich zu rasieren.“
Ich betrachte sein im Gegensatz zur Oberlippe sehr wohl rasiertes Kinn und grinse meinerseits. „Nee, ist klar. Der Akku vom Rasierer war leer, ne?“

Auf den letzten zweihundert Metern unserer heutigen Dämmerungs-Etappe, vorbei an zwei Brücken, entbrennt die ausführlichste Schnauzbart-Diskussion, die am Ufer der Düssel jemals geführt worden ist:

„Glaubst du eigentlich, dass es in Deutschland modisch ernstzunehmende Männer unter 40 gibt, die völlig selbstverständlich und ohne jede Ironie einen Schnauzbart tragen?“

P. schüttelt den Kopf. „Zumindest nicht in der Großstadt.“

„Unsere Väter sind beide weit über 50“, beginne ich.

„… und tragen beide Schnauzbart, ohne es jemals hinterfragt zu haben“, sagt P. und haut eine These raus: „Der Schnauzbart trennt die Generationen. Vor 20 oder 30 Jahren konnte man als Träger eines Ohne-Ironie-Schnäuzers noch richtig hübsche Frauen abbekommen. Heute nicht mehr.“

„Ausnahmen bestätigen die Regel“, sage ich, „zum Beispiel dieser Daimler-Mann Dieter Zetsche. Der trägt seine Walross-Bürste so, als sei sie ein Bundesverdienstkreuz – und hat damit Désirée Nosbusch  zumindest nicht abgeschreckt. Wobei, der ist ja auch weit über 50 …“

P. setzte einen verklärten Blick auf: „Hach, Désirée Nosbusch … in die war ich mal verliebt. Mit 13 oder 14 …“

„Gibt ja durchaus unterschiedliche Schnurrbart-Typen“, sage ich.

„Oberstudienrat-Schnauzer a la Carlo von Tiedemann, Gay-Schnauzer a la Tom Selleck, Eitler-Vogel-Schnauzbart a la Jean Pütz, Assi-Schnauzer a la … komisch da fällt mir gar keiner ein.“

„Tja, da hast Du´s“, sagt P. „Selbst die Assis und die Fußballprofis tragen heute keinen Schnauzbart mehr. Ohne Ironie getragene Schnauzer sind unter jungen Großstädtern so gut wie ausgestorben. Nur in ländlichen Gebieten haben sie als Ausdruck kerniger Männlichkeit überlebt.“

„Also, gerade beim Fußball fallen mir einige Ex-Schnauzbartträger ein, die immer noch wie Schnauzbarträger aussehen. Aber nicht nur da …“

„Hä?! Beispiele?“

Mario Basler, Waldmar Hartmann, Gerhard Delling, Carsten Maschmeyer, Frank Plasberg … Denen steht der Schnauzbart immer noch ins Gesicht gezeichnet, obwohl er gar nicht mehr da ist.“

„Ich glaube, Du überinterpretierst das ein Bisschen.“ P. lacht. „Und zu welcher Kategorie gehören unsere Väter?“

„Oberstudienrat-Schnauzer, würde ich sagen.“

„Aber die sind doch gar keine Oberstudienräte“, protestiert P.

„Egal“, sage ich. „Aber ihre Schnauzbärte – die sind voll Oberstudienrat. Genauso wie bei Thilo Sarrazin.“

„Auch kein Oberstudienrat“, sagt P. „Etikettenschwindel!“

„Weiß Du, woran man erkennt, dass eine männliche Junggesellenabschiedstruppe in der Düsseldorfer Altstadt vom Land kommt?“, frage ich – und gebe im gleichen Atemzug die Antwort: „Weil sich da Ohne-Ironie-Schnauzbärte und Bartlose friedlich vereint die Kante geben.“

„Man könnte das auch gelebte Toleranz nennen“, sagt P. „Oder fehlende Oberflächlichkeit.“

„Oder fehlendes Modebewusstsein“, sage ich.

„Oder beides“, sagt P.

Als wir an der Düssel-Brücke Am Straußenkreuz angekommen sind, stellt P. die ultimative Frage: „Was schätzt Du, wie hoch die aktuelle Schnauzbart-Quote in der Bundesliga ist?“

„Der letzte, der mir einfällt, ist Dean Thomas,  aber der hat in den 80ern in Düsseldorf gespielt. Nein, aktuell fällt mir nicht einer ein.“

„Das spricht für sich“, sagt Mönchengladbach-Fan P. „Oder?“ Er macht eine Pause. „Und weißt du was: Ich bin mir sicher, dass auch Dean Thomas sich inzwischen von seinem Bart getrennt hat.“ P. checkt auf seinem iPhone die Google-Bildersuche und zeigt mir zwei Sekunden später ein Foto: Dean Thomas, sichtlich gealtert … ohne Schnäuzer.

„Ja, und eben weil ein Schnauzbart heutzutage offenbar ein modisches Tabu ist, kommen so Möchtegern-Hipster wie Du auf die Idee, sich überhaupt so einen Popelstopper stehen zu lassen.“

„Meinst Du, es wird in naher Zukunft ein ernsthaftes Revival der Schnauzbart-Mode geben?“, fragt P. “So ganz ohne Ironie?“

„Gegenfrage: Meinst Du, es wird in naher Zukunft ein ernsthaftes Revival von extrem dichter weiblicher Schambehaarung geben?“

“So eine Art Ironie-Schambehaarung?” P. lacht. „Eines ist sicher: Es gibt mindestens drei Menschen, die über allem stehen und einen Schnauzbart tragen dürfen, ja sogar müssen. Rudi Völler, Helge Schneider und …“

„Aber spielt Helge Schneider nicht seit jeher in der Ironie-Schnäuzer-Liga?“, unterbreche ich ihm. „Der trägt doch so einen speziellen Oberlippenbart, ganz schmal … wenn er nicht gerade einen Vollbart trägt. Wie nennt man das noch mal? Das ist so eine Französisch klingende Bezeichnung?

Menjou-Bärtchen, sagt P . „So wie wie bei Jacques Palminger. Ja, irgendwie ist das eine ganz eigene Liga.“

„Jacquer wer?“, frage ich.

„Palminger! Studio Braun! Fraktus! Einigen wir uns doch darauf: Schneider und Palminger haben schon Ironie-Schnäuzer getragen, als das Wort Ironie-Schnäuzer noch gar nicht erfunden war.“

Ich schaue mir auf dem Smartphone, den Wikipedia-Eintrag zu „Schnurrbart an“: (…)Einen großen Schnurrbart nennt man Schnauzbart.  Umgangssprachliche Bezeichnungen sind Bürste, Schnauzer, Schnorres, Schnorrati, Sör, Rotzbremse, Popelfänger oder auch Pornobalken, regionale Ausdrücke sind Schnäuzer und Schnurres und in der Deutschschweiz heißt der Schnurrbart Schnauz.(…)

„Und aktuell gibt es sogar noch zwei Typen, bei denen ich das Gefühl habe, sie tragen ihre Ironie-Schnauzbärte als ironische Anspielung auf Ironie-Schnauzbärte“, sagt P. „Wobei sie den Balken gar nicht immer tragen, sondern nur gelegentlich.“

„Du sprichst in Rätseln“, sage ich, „meinst aber vermutlich Jan Böhmermann und Olli Schulz.

image
image
image

Wir stehen auf der Brücke, aber gedanklich ist P. schon längst weiterflaniert: „Du, ich glaube, wir werden viele unserer Leser vergraulen, wenn wir diese Gespräch dokumentieren. Das interessiert doch keinen. Und vielleicht meinen einige sogar, dass wir den ganzen Quatsch, den wir hier verzapfen, komplett ernst meinen.“

„Wie? Tun wir das nicht? Steht doch auf der Düssel-Flaneur-Packungsbeilage: … mit Ironie und ohne Jack Wolfskin …“

P., nun kreativ warmgelaufen, beginnt zu phantasieren, während wir uns auf den Weg zurück zum Parkplatz machen: „Ich habe eine Idee, wie wir viel mehr Leser auf unser Blog locken könnten: Wir lassen uns für die restlichen Etappen beide so einen viereckigen Adolf-Balken stehen und zeigen jede Menge Fotos davon. Das würde sicher für maximale Aufmerksamkeit sorgen. Und damit würde man die Schnauzer-Ironie auf die Spitze treiben: Ein Adolf-Schnauzer ist noch tausend Mal ekliger als ein normaler.“

„Nee, lass mal“, sage ich. „Diese Spitze ist mir zu hoch – und zu gefährlich. Als Nazi-Hipster bekämst du jede Woche ein paar auf die Fresse. Zu Recht!“

„Das wäre doch auch eine Buchidee, die im Ich-bin-wieder-da-Trend liegt“, sagt P. „Wie ich einmal beschloss, als Adolf Hitler durch Europa zu reisen. Ein Selbstversuch.“

“Ja, passend zu Neuauflage seines Bestsellers Mein Kampf.”

Als wir ins Auto steigen, beendet mein bester Freund P. unser Schnauzbartstudium mit einer Frage: „Wenn ich in den 80ern und 90ern im Ausland unterwegs war, habe ich immer wieder gehört, es sei typisch Deutsch, einen Schnurrbart zu tragen. Doch wie sieht das heute aus, Ende 2015? Was hat sich geändert?“

Ich antworte ihm mit einer rhetorischen Frage: „Ist in den letzten 10 bis 15 Jahren jemals ein Spieler der deutschen Fußball-Nationalmannschaft mit einem Schnauzbart aufgelaufen?“

P. nickt – und sagt: „Ich denke, das war unsere letzte Etappe für 2015 heute, oder?“

„2016 geht’s weiter. Mit Ironie, und hoffentlich ohne Schnauzbart …“

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

Latest from Düsseldorf

Go to Top