(#25) „Wir schaffen das“-Befindlichkeiten

in Düsseldorf

Wie ein linker Flaneur am rechten Düsselrand temporär seinen Sinn für Ironie verliert / Wie man Zukunftsangst in Zukunftsfragen kleidet / Und wie man sich vorstellt, wer Bundeskanzlerin sein wird, wenn man die restlichen 30 Flanier-Kilometer hinter sich hat.

Frohes Neues“, sagt mein bester Freund P., als wir uns an der Über-die-Düssel-Brücke am Straußenkreuz in Eller treffen. Kälte, Nässe, Dauerregen.

„Dir auch“, sage ich.

Tatsächlich haben wir uns zuletzt im Dezember 2015 gesehen, an der Düssel, entlang des Friedhofs Eller: Danach: Weihnachten, Neujahr, Kurzurlaub. Und nun: Dem Arbeits- und Familienalltag eine halbe Stunde fürs Düssel-Flanieren geklaut. Los! Links der Düssel: Gärten, zum Teil mit einer Tür, die auf die grasbewachsene Uferböschung führt. Rechts der Düssel: Ein Spazierweg, dem sich schlängelndem Flussverlauf folgend. Keiner unterwegs, außer einer Mutter mit Kind, Hund und Regenschirm.

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Wir folgen dem Spazierweg, die Bäume zwischen Weg und Ufer spiegeln sich in den Pfützen. Die größte Matschpartie seit Beginn unseres Düssel-Projekts. P. sagt: „Die Zeit heute dürfte für maximal 500 Meter reichen – erst am Fluss entlang, und dann durchs Viertel zurück zu den Autos.“

„Wir schaffen das!“, sage ich.

„Glaubst du wirklich?“, fragt er, ohne auf den Ironie-Modus meiner Frage zu reagieren. „Glaubst du immer noch, dass wir das schaffen?“

Falls es noch nicht klar sein sollte: Ironie-Fetischist P. ist heute komisch drauf. Er bezieht die Frage nicht auf unsere heutige Etappe. Sondern auf die Stimmung in Deutschland nach #koelnhbf. Und auf die Kanzlerin, über die er in den vergangenen Monaten immer wieder Sätze wie „Also, ich finde die inzwischen ja gar nicht so schlecht“ gesagt hat. Danach hat der taz-Abonnent P. jedes Mal über sich selbst gelacht, so als habe er gerade etwas quasi Verbotenes von sich gegeben. Er, der aufgeklärte Möchtegern-Hipster-Kosmopolit mit Vorliebe für den Realo-Flügel der Grünen („Ich bin ein rechtsgrünversiffter Antifaschist!“).

Ich zucke mit den Schultern

„Also ich habe Angst“, sagt P. – „und ich habe unbequeme Fragen.“

„An unsere Wir-schaffen-das-Kanzlerin?“

„Keine Ahnung … An mich, an dich, an meine Freunde, an die Politiker, an Deutschland.“

„Wovor hast du Angst?“

„Ich habe Angst, dass Deutschland nie mehr so friedlich sein wird wie es bisher gewesen ist.“

„Hmm“, mache ich.

P. spricht immer schneller: „Ich habe Angst vor der Tatsache, dass der Staat die Kontrolle über seine Grenzen verloren hat. Stell dir vor: Unser Kontrolletti-Deutschland hat die Kontrolle verloren! Das Land, in dem du ein Knöllchen bekommst, wenn du 15 Stundenkilometer zu schnell fährst. Das Land, in dem es ausgewiesene Parkplätze gibt, auf denen man aber nicht wirklich parken darf, weil eingeschränktes Halteverbot herrscht. Das Land, in dem du fürs Schwarzfahren in den Knast kommen kannst. Das Land, dessen Bürokratie Worte wie Ressourcen-Ettikierungs-Dilemma erfindet. Dieses Kontrolletti-Land lässt mehr als eine Millionen Menschen herein, ohne wirklich zu wissen, wer sie sind und woher sie kommen. Nur wir machen das so, sonst keiner. Weil wir um jeden Preis die Guten sein wollen … Unfassbar!“

P. macht eine Pause. Dann fügt er hinzu: „Und wenn ich das sage, heißt das nicht, dass wir gar keine Flüchtlinge aufnehmen oder gar Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen sollen. Natürlich nicht! Aber die entscheidende Frage ist doch: Wie belastbar ist unsere Gesellschaft?“

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Die Düssel unterquert nun die Ludwigstraße, und kurz vor der Unterführung strömt aus einer schmalen Röhre am anderen Ufer Wasser heraus. Ein Bach? Oder was? Smartphone raus und nachschauen: Doch auf Google Maps ist nichts zu finden. Anders als vor einigen Monaten bei dem viel weniger sichtbaren Ickbach am Rande des Südparks.

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„Hm“, mache ich erneut, schieße einige Fotos und stecke das Smartphone wieder ein. Wir überqueren die Ludwigstraße, vorbei an einer Bushaltestelle.

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Immerhin scheint P. seine Ironie wiedergefunden zu haben. Aufgeregt wirkt er immer noch. Selten erlebt bei ihm. Ob ich an dieser Stelle auf den vor einiger Zeit erwähnten Migrationshintergrund von P. hinweisen sollte? Darauf, dass dieser Migrationshintergrund einen christlichen und einen moslemischen Zweig hat? Darauf, dass P. politisch links angesiedelt und vollkommen unreligiös ist und Populisten jeglicher Art ablehnt? Während ich das denke, laufen wir an einem Siebziger-Jahre-Sozialbau vorbei, immer noch auf dem Spazierweg. Im Hintergrund ist ein Kirchturm zu sehen (Zufall, nicht Symbol!).

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„Ich habe Angst“, fährt P. fort, „dass das alles so weiter geht und noch schlimmer wird und die Gesellschaft spaltet.“

Kurze Pause. Auf der anderen Düsselseite: Kleingärten mit Maschendrahtzäunen. Altbau-Rückfronten mit Balkonen. Eine Mauer mit Street art.

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P. erzählt, dass er der letzte sei, der zur Hysterie neige. Dass er zur Flüchtlingsdebatte neben der taz auch dies und das und jenes gelesen habe. Und dass das, was gerade passiere, eine unbekannte Dimension habe, und es ihm total auf den Sack gehe, wie viele in seinem linksliberalen Umfeld nach #koelnhbf nicht über die Taten, sondern lieber über sexuelle Belästigung auf dem Oktoberfest oder an Karneval sprechen wollten. Dass dies zwar gut gemeint gewesen sei, nämlich um Pegida und AfD keinen Zündstoff zu liefern, aber genau das Gegenteil bewirkt habe („Eine unfreiwillige Werbekampagne für die AfD!“).

„Ich habe Angst“, fährt P. fort, „dass das erst der Anfang war. Dass sich noch mehr Flüchtlinge daneben benehmen, und dass meine Kinder mit ihrem nicht gerade urdeutschen Aussehen in Zukunft Probleme haben werden. Weil es leider Menschen geben wird, die die Flüchtlingskrise als Ausrede für ihren Rassismus nutzen.“

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Ein Antifa-Aufkleber an einer Laterne. Aufschrift: „Merry crisis and a happy new fear“. „Anstrengend diese Antifa-Leute“, sagt P. „Sie machen einen wichtigen Job, wenn sie Nazi-Aufmärsche stoppen, aber es ist schwer mit ihnen zu diskutieren. Moralisch selbstgefälliges Milieu! Sehr oft zumindest. Für die ist man schon fast ein Nazi, wenn man Wörter wie Obergrenze oder Aufnahmestopp nur in den Mund nimmt.“

Eine weitere Über-Die-Düssel-Brücke, diesmal ist sie aus Holz. Vor uns verschwindet unser Flüsschen in einer Röhre, die unter dem Bahndamm verläuft. Nicht zu sehen, was dahinter kommt. Eine S-Bahn rast vorbei, in ihren Fenstern spiegeln sich die Bäume. Erneut mündet ein Bach (oder was auch immer) unterhalb der Brücke in die Düssel. Inspiration für die Lokalpresse: Bitte mal herausfinden, woher das Wasser stammt! Arbeitstitel für den daraus entstehenden Artikel: Die unbekannten Bäche von Eller.

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„Was ist die Lösung?“, frage ich, während wir die Brücke überqueren, den hier sehr schmalen Haustertshofweg parallel zum Bahndamm entlanggehen und dann an vielen schönen Altbauten vorbei Am Straußenkreuz zurück zu unseren geparkten Autos spazieren.

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P. zögert. Dann erzählt er, wie sehr er in der Debatte die Zwischentöne vermisst habe. Und wie Freunde von ihm, die auf die Gefahren der unkontrollierten Zuwanderung hingewiesen hätten, von anderen Freunden sofort in die rechte Ecke gestellt worden seien. Wie deswegen Freundschaften gekündigt und Leute bei Facebook geblockt wurden. Er, der Wutbürger verabscheut, redet sich in Rage: „Ist man ein Rechter, wenn man der Meinung ist, dass das bunte, weltoffene Deutschland in großer Gefahr ist, wenn weiterhin so viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen? Ist man ein Rechter, wenn man dafür ist, sich in der Flüchtlingsfrage am traditionell bei Linken beliebten Modell Schweden zu orientieren? Ist man ein Rechter, wenn man dafür ist, dass Deutschland sich bei der Integration an den vielen klugen Worten orientiert, die Ahmad Mansour in Artikeln und Interviews gesagt hat? Ist man ein Rechter, wenn man Rechtsradikalismus mit der gleichen Härte bekämpfen will wie Islamismus? Ist man ein Rechter, wenn man den sozialen Frieden in diesem Land so gut wie möglich erhalten will? Ist man ein Rechter, wenn man findet, dass in Zeiten von Social Media die symbolische Botschaft Wir können nicht alle aufnehmen dringend in die Welt heraus getragen werden muss, damit sie ebenso gehört wird wie Merkels von vielen symbolisch als allgemeine Einladung missverstandenes Wir schaffen das? Und überhaupt: Sind jetzt die vielen Länder, die wenig bis gar keine Flüchtlinge aufnehmen, alle schlecht und nur wir Deutschen gut?“

Wieder macht P. eine Pause. Dann folgt eine Erklärung: „Das heißt ja nicht, dass wir gar keine Flüchtlinge mehr aufnehmen sollen, aber durch das Symbol Aufnahmestopp würden sich ganz sicher weniger auf den Weg machen. Und wir könnten uns besser um die kümmern, die schon hier sind.“

P.´s Fragen lassen in meinem Kopf ebenfalls Fragen aufpoppen: Ist P. Realist oder Populist? Ist er hysterisch oder weitsichtig? Übertreibt er oder untertreiben andere? Hat er Angst oder Panik? Ist er ein Klugscheißer? Hat er noch nicht realisiert, dass sich Deutschland zwangsläufig ändern wird und wir nun die negativen Folgen der Globalisierung zu spüren bekommen, von der wir bisher profitiert haben? Wird Angela Merkel noch Kanzlerin sein, wenn wir die Düssel-Quelle bis zur Bundestagswahl 2017 erreichen?

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Es hat aufgehört zu regnen. Ich parke meinen Wagen aus, P. parkt seinen Wagen aus. Und als wir an der Ampel nebeneinander stehen, lassen wir die Fensterscheiben herunterfahren.

„Die Antworten auf deine Fragen muss du dir selbst geben“, sage ich. „Wenn ich sie hätte, wäre ich vermutlich in der Politik.“ Ich grinse. „Aber nun hätte auch ich noch eine Frage an dich: Was ist eigentlich ein Ressourcen-Ettikierunges-Dilemma?“

P. winkt ab: „Das könnte dir nicht einmal Peter Altmeier in einem Satz erklären. Die Antwort gebe ich dir nächstes Mal.“

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