Wie Düssel-Flanieren ohne Düssel funktioniert / Warum “Ein Bisschen so wie in Berlin”-Sätze nerven / Und warum zwei Männer ohne Kinderbegleitung keinen Spielplatz betreten dürfen.
Weiter stromaufwärts! Google Maps verrät uns, dass die Düssel nun für mindestens einen Kilometer unterirdisch fließt und erst in der Mitte des Häuserblocks zwischen Martin- und Benzenbergstraße wieder auf- bzw. abtaucht.
Mein bester Freund P. schaut auf die Uhr. Uns bleiben noch rund 20 Minuten, dann müssen wir beide wieder ins Büro, und der heutige Tages-Spaziergang ist beendet.
„Komm, lass uns einen Umweg über die Lorettostraße nehmen, da macht bald im ehemaligen „Zum Dröje“ ein neues Lokal auf“, sagt P.
„Da, wo wir den Bundesliga-Aufstieg der Fortuna im Fernsehen geschaut haben? Die Old-School-Kneipe mit den famosen Frikadellen und der guten Gulaschsuppe.“
„Genau die! Heißt bald Kraftwerk und wird wohl so eine Art Mischung aus Café und Restaurant.“
„Schade“, sage ich, während wir den Fürstenwall Richtung entlangspazieren und dabei – so viel ist sicher – irgendwo die Düssel-Röhre passiert haben. “Die werden sicher bald von der Band gleichen Namens verklagt und müssen sich umbenennen.”
Drei Minuten später stehen wir vor unserer ehemaligen Fußball-Kneipe an der Ecke Lorettostraße / Wilhelm-Tell-Straße. Drinnen wird noch renoviert, draußen hängen Plakate.
„Sieht cool aus“, meint P.
„Sag jetzt nicht den Satz, den ich so hasse!“
„Ein Bisschen wie in Berlin?“, sagt P. und grinst.
„Das wird über jedem Laden, der ein wenig in die alternativ-szenige Ecke geht, gesagt. Als ob die in Berlin solche Arten von Kneipen erfunden hätten. Ich mag Berlin, aber mir geht der Berlin-Hype auf den Geist!“
„Dann lass diesen Dialog im Blog später weg“, rät P., während wir weiter die Lorettostraße Richtung Bilker Kirche entlanglaufen. „Außerdem ist Düsseldorf immer noch meine Heimat, und ich kann dir jederzeit eine kleine Hasstirade gegen Berlin liefern.“
„Du? Der Ich-wäre-viel-lieber-in-Berlin-geblieben-Bekenner! Der Düsseldorf-ist-so-schrecklich-klein-Behaupter! Du?!“
„Ja, ich! Mir ging und geht in Berlin so vieles auf den Sack. Immer das gleiche Blabla: Schwabenhass, Kreuzkölln-Hype, illegale Open-Air-Partys, die Darkrooms im Berghain, die Tattoos bzw. Piercings des Berghain-Türstehers, die allerletzte Party im Kater Holzig, die „Ach, früher in der Bar 25“-Nostalgie (obwohl der Laden erst seit knapp vier Jahren zu ist!), das Weekend, wo „man“ nicht mehr hingeht, weil da so viele (spanische) Touristen sind, die Oranienstraße, die auch nicht mehr das ist, was sie mal war (aber trotzdem im Luzia abhängen!), die Bergmannstraße, die erst recht nicht mehr das ist, was sie mal war (aber immer noch im Atlantic frühstücken!), die Oranienburger Straße, die schon seit zwanzig Jahren nicht mehr das ist, was sie (kurz nach der Wende) war, die Oberbaumbrücke mit ihren Sommersonnenuntergangs-Partys, das seit mehr als fünf Jahren anhaltende „Der Wedding wird der neue Szenekiez“-Gelaber (geht klar, vor dem Gentrifizieren müsst Ihr bloß noch 50.000 Proleten umsiedeln!) und so weiter und so weiter … Ich kann diesen Small Talk der Jutebeutel und Ironieschnauzer tragenden Klapp- und Rennradcoolios mit „Büro“ im St. Oberholz oder im Betahaus und ihrer so ungeschminkt wie möglich geschminkten weiblichen Gegenstücke nicht mehr hören. Exil-Paderborner, Exil-Oldenburger und Exil-Düsseldorfer, die auf spanische Partytouristen schimpfen, irgendein ein vom Papi finanziertes Scheiß-Projekt realisieren (im schlimmsten Fall schreiben sie ein Buch!), sich angewöhnt haben „ick“ zu sagen und stolz darauf sind, seit Jahren nicht in Charlottenburg oder Wilmersdorf gewesen zu sein (oder noch nie!) – und dann essen sie vegan und/oder bio und fahren zwischendurch für ein Wochenende zum Feiern nach Barcelona! Ekelhaft!“
„Wow!“ Ich stehe mit offenem Mund vor P., der für seinen Monolog extra stehen geblieben ist. P. grinst sein typisch-ironisches P.-Grinsen. Ich habe es euch ja schon am Anfang unseres Düssel-Spaziergangs erzählt: Mein bester Freund P. ist amtierender Stadtmeister in Sachen Ironie, Sarkasmus und Zynismus ist, zumindest im Düsseldorfer Süden. Okay, auch dieser Satz war nicht frei von Ironie, aber Tatsache ist, dass man nie so genau weiß, was P. ernst meint und was nicht. In jedem Fall schafft er, der Hassias von Bilk, ansatzlos den Übergang vom Jack Wolfksin-Jacken-Träger-Bashing zum Hipster-Bashing. Ein Mittdreißiger-Paar, das draußen auf der Terrasse des Menta sitzt schaut P. ziemlich irritiert an. P. tut so, als merke er es nicht, doch ich weiß, er wird gerne irritiert angeschaut. Ich ziehe ihn am Arm …
„Die Düssel wartet! Überhaupt, du bist doch selbst so ein Klapprad-Coolio!“, sage ich.
„Aber ohne Ironie-Schnäuzer!“
„Inzwischen ohne Ironie-Schnäuzer! Du sahst damals echt aus wie Joey Silvera!“
P. lacht. „Gestatten, Dr. F. Otze!“ Wir passieren die Düssel-Straße, an deren Ende sich das Stadttor in den Himmel reckt.
„Ich zeigt dir jetzt mal, was ich inzwischen richtig cool finde“. Wir biegen in die Düsselstraße ein und stehen nach zwanzig Metern vor einer Kneipe: „Pyjama, der Treffpunkt für ausgeschlafene Leute.“
„Das ist real, das ist authentisch, Alter!“, sagt P. („real“ spricht er wie ein HipHopper aus) – da müsstest du mal einen Monat lang jeden Tag hingehen, von morgens neun bis Mitternacht, dann lernst du alle Stammgäste kennen, und darüber müsstest du dann wirklich ein Buch schreiben, so wie das dieser Journalist über eine Kleinstadt in Brandenburg gemacht hat.
„Ach komm, jetzt willst du dich auch noch auf Kosten einer solchen Frühschoppen-Pinte profilieren.“
„Klar, habe ich voll nötig!“
„Schluss jetzt!“ Ich ziehe mein Smartphone aus der Hosentasche und rufe Google Maps auf. „Die Düssel kommt da vorne ans Licht, südlich der Bilker Kirche, in der Mitte des Häuserblocks.“
„Schön und gut, aber wie kommt man da hin.“
„Wenn, dann nur über den Innenhof-Spielplatz durch das Tor auf der Martinstraße.“
Wenig später stehen wir auf dem öffentlichem Spielplatz. Keine Spur von der Düssel.
„Eigentlich müsst sie da hinten zu sehen sein, hinter der Mauer“, sagt P.
Ich bemerke, wie uns die zahlreichen Kinderwagen-Mütter skeptisch anschauen, so als trügen wir T-Shirt mit der Aufschrift „Wir sind Kinderschänder.“
„Du, ich glaube wir fallen negativ auf, wenn wir hier mit suchendem Blick in der Nähe der Gebüsche rumlungern “, sage ich.
„Zwei Männer, ohne Kinder aufm Spielplatz“, sagt P., „das ist in der Tat höchst verdächtig. Lass uns gehen, bevor die Bugaboo-Bürgerwehr die Polizei ruft. Wir können ja schlecht sagen, dass wir die Düssel suchen, dann halten die uns erst recht für bekloppt.“
Vor der Bilker Kirche verabschieden wir uns.
„Nächste Woche wieder?“, frage ich.
„Übernächste Woche!“, sagt P., „nächste Woche sind wir in Urlaub.“
„Wohin geht’s? Nach Berlin?“
„Nee, nach Holland. Hotel mit Kinderbetreeung.“
„Spießer!”
“Selber!”
„Okay, wir sehen uns in zwei Wochen! Und dann finden wir die Düssel wieder!“
„Hast du eigentlich das letzte Video hochgeladen?“
„Ja, habe ich gemacht.“
„Und wie viele Leser haben wir inzwischen?“
„Keine Ahnung, sag ich dir, wenn wir uns nächstes mal sehen!“
[…] durch die Großstadt fahren, mal auf dem Longboard, mal mit dem Rennrad. Na ja, wenigstens hast du dein Klapprad […]