(#5) Jack Wolfskin und der in der Düssel versenkte Badmintonschläger

in Düsseldorf

Wie die Düssel im Untergrund verschwindet / Warum Flaneure keine Outdoor-Funktionsjacken tragen / Und wie ein Fluss einen Schulfhof besucht.

Wir sind getwittert worden“, sagt mein bester Freund P., während wir unseren Düssel-Spaziergang von der Kniebrücke aus fortsetzen. Irgendwo hier unter der Brückenauffahrt muss es ein unterirdisches Beton-Flussbett geben. Laut Google Maps verläuft es genau in der Mitte des vor uns liegenden Häuserblocks, zwischen Konkordiastraße und Kronprinzenstraße.

Ich schaue P. fragend an, während wir uns (intuitiv?) für die Kronprinzenstraße entscheiden. „Und was ist getwittert worden? Dass unser Blog super ist?“

“Na ja, nicht ganz. Aber es war schon so eine Art Empfehlung.“

„Von wem?“

Unterschied zw. Flanieren und Wandern? Verzicht auf Outdoor-Kleidung? Verlangsamtes Tempo?Lest selbst @duesselflaneur http://t.co/mO2zvhCYx3

— Dein NRW (@DeinNRW)

26. August 2014

„Von der Tourismus NRW e.V. , die twittern über Neuigkeiten und Angebote rund um das Reiseland Nordrhein-Westfalen.“

„Ist doch super. Oder gehört die Düssel nicht zum Reiseland Nordrhein-Westfalen?“

„Doch, aber wenn ich den Text lese, glaube ich, dass die unsere Ironie nicht verstanden haben.“

„Warum?“

„Sie schreiben: `Unterschied zw. Flanieren und Wandern? Verzicht auf Outdoor-Kleidung? Verlangsamtes Tempo? Lest selbst`.“

„Aha, du meinst das mit der Outdoor-Kleidung, der Rest ist doch super!“

„Alter, in der Blogbeschreibung heißt es: `zu Fuß, mit Ironie und ohne Jack Wolfskin´. Kann man daraus nicht ersehen, dass wir Jack Wolfskin und Co Scheiße finden?“

„Moment mal, ich habe gute Freunde, die Jack Wolfskin-Klamotten tragen. Die sind viel netter als manche von deinen arroganten Werber-Hipstern in Röhrenjeans und Puck-die-Fliege-Brille!“ Ich schaue auf P.´s Beine und bemerke, dass er selbst auch eine Röhrenjeans trägt.

P. – heute ohne Puck-die-Fliege-Brille unterwegs – grinst und guckt demonstrativ auf meinen Bootcut. „Ach komm“, sagt er, „du hast doch selbst letztens gesagt, dass dir die Jack-Wolfskinisierung der Gesellschaft auf den Geist geht und dass die Jacken mit dem Tatzenlogo die neue Uniform der Deutschen sind. Und so weiter …“

„Ja stimmt! Und am schlimmsten ist es, wenn die Leute jetzt schon beim ersten Spätsommer-Windstoß ihren Jack Wolfskin-Outdoor-Quatsch aus dem Schrank holen und sich damit nicht nur warm, sondern auch modisch angezogen fühlen, während ihr Unterbewusstsein ihnen flüstert, mit der Kraft der Tatze gegen alle Unwägbarkeiten des Lebens gewappnet zu sein“

„Schlimmstenfalls Partnerlook“, ergänzt P. ,“sie in rot, er in blau, und auf dem Fahrrad natürlich nur mit Helm! Auf der Kö spazieren im Winter hunderte Jack Wolfskin-Jacken an einem vorbei. Modestadt Düsseldorf!“

„Das ist nicht Düsseldorf, das ist Deutschland! Und in Berlin-Mitte und durchaus auch bei uns in Flingern oder Unterbilk tragen ja auch viele eine Uniform: das typisch nonkonform-konforme Hipster-Outfit eben.  Ein Bisschen über die Wolfskin-Leute aus der Fußgängerzone lästern ist okay, aber im Grunde genommen geht es doch nur darum, dass man seinen eigenen Stil findet. Scheiß egal, was die anderen anziehen! Und überhaupt: Wenn es keinen Mainstream gäbe, von dem man sich abgrenzen kann, dann wäre das Leben extrem langweilig.“ Ich mache eine Pause. Dann fahre ich fort: „Also, ich würde über dieses Thema im Blog lieber nicht schreiben.“

P. schlägt sofort seinen pseudoironischen Ton an: „Warum? Weil uns dann die Jack Wolfskin-Lobby boykottiert? Oder weil uns die Leute von Tourismus NRW e.v. dann nicht mehr gut finden? Du Opportunist!“

„Nein, ich finde nur, es kommt oberflächlich rüber, wenn man öffentlich so krass darüber lästert.

„Und ich finde das ist eine Haltung! Gegen den Mainstream!“

„Eine arrogante Haltung! Außerdem ist es Mainstream, gegen den Mainstream zu sein. Gegen den Mainstream sind die ganzen Spinner, die an Chemtrails glauben oder 9/11 für einen Insider-Job halten doch auch. Cooler, wäre es doch, wenn wir uns darüber keine Gedanken machen würden. Übrigens: Gibt es eigentlich auch Werber, die Jack Wolfskin tragen?“

„Nee, aber North Face tragen schon einige! Komischerweise, den inzwischen unterscheiden sich die Jacken oft nur noch durch das Logo.”

„Ach komm, Thema beendet! Das führt zu nichts! Außerdem geht es hier nicht um den Mainstream, sondern um den Düsselstream.”

„Haha“, macht P. – und legt nach: “Hipster, Schickischnösel, Normalos – eigentlich gehen mir in letzter Zeit alle auf den Sack! Du besonders! Und ich selbst gehe mir am allermeisten auf den Sack! Ich sag dir was: Wir sind zwei eitle Arschlöcher, die sich so wichtig nehmen, über einen Düssel-Spaziergang ein Blog zu machen. Und das dann vermutlich auf mehr als hundert Folgen ausdehnen, wenn es in diesem Tempo weitergeht.“

„Erstens machen wir das anonym, zweitens können wir meinetwegen gerne zweihundert Folgen bringen, und drittens brauchst du eine Therapie!“

Inzwischen haben wir die Kronprinzenstraße fast bis zum Fürstenwall durchlaufen, links neben uns ein öffentlicher Spielplatz, rechts ein (nichtöffentlicher) Schulhof. Wo ist die Düssel? Laut Plan müsste sie irgendwo hinter den Häusern der rechten Straßenseite unter freiem Himmel verlaufen. Erst in einem langgezogenen Schlängeln, dann in einer scharfen, Richtung Konkordiastraße zeigenden Kurve. Ich schaue auf mein Smartphone und weise mit der Hand den Weg: „Da vorne …“ Wir überqueren den Schulhof und kommen uns dabei ein Bisschen wie Eindringlinge vor, aber zum Glück ist der Unterricht schon vorbei. Keine Kinder, keine Lehrer, kein Hausmeister. Nur wir. Und unsere Düssel-Mission.

Vor uns: Eine Brücke mit weinrotem Geländer. Eine Brücke über die Düssel, die hier ca. 50 Zentimeter tief ist und gemächlich dahinströmt. Auf der anderen Brückenseite: Ein weiterer Schulhof, mit versperrtem Gittertor.

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Flussabwärts verläuft die Düssel schnurgerade und verschwindet hinter tief hängenden Ästen und Gebüsch. Dahinter muss die unterirdische Düsselröhre beginnen.

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Flussaufwärts verläuft die Düssel in einem langen Bogen, begrenzt von einer hohen, ziemlich alten Mauer, an der überall Efeu herabhängt. Nach „Innenstadt“ sieht das nicht aus.

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Das Wasser ist sehr klar. Sofort halte ich nach Fischen Ausschau. Keine zu sehen. Wir verlassen die Brücke und spazieren am Ufer entlang, das zur Sicherheit der Kinder ebenfalls mit einem hohen Geländer gesichert ist. Hier beginnt die scharfe Kurve, die wir schon bei Google Maps gesehen haben.

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P. hält die Szenerie mit der Handy-Kamera fest. Derweil entdecke ich zwei Badmintonschläger im Wasser.

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„Wie lange die wohl schon da liegen?“, frage ich. „Und wie sie da wohl hingekommen sind?“

„Und wie lange sie da wohl noch liegen werden? Mann ej, das sind Fragen, die die Welt bewegen. Mach doch eine investigative Recherche, hol die Schläger raus dem Wasser – und schreibt ein Buch drüber! Oder ein Blog.“

„Aus dem Sportunterricht stammen sie jedenfalls nicht, das hier ist eine Grundschule, da spielen die noch kein Badminton.“

„Woher weißt du das?“, fragt P., „ dein Sohn ist doch erst im Kindergarten.“ Er deutet auf seine Armbanduhr. „Wir haben nur noch ne halbe Stunde! Lass uns mal weitergehen!“

P. wirkt ziemlich angespannt heute. Während wir den Schulhof verlassen und in den Fürstenwall einbiegen, boxe ich ihn spielerisch in die Seite. „Alles okay bei dir? Schlecht drauf? Was bewegt dich?“

„Dass ich heute Abend wieder Überstunden machen muss – und meine Frau dann wieder zu motzen beginnt, weil ich meine beiden Töchter unter der Woche so selten sehe.“

Soll ich P.  raten, sich doch einen anderen Job zu suchen, in dem er nicht so lange arbeiten muss? Nein, seine aktuelle Stelle hat er ja gerade erst vor zwei Monaten angetreten, und noch ist er in der Probezeit. Ich klatsche in die Hände, „Komm Jung`!“, und hole mein Smartphone aus der Tasche: „Mal schauen, was uns Google Maps über die weitere Düssel-Route verrät …“

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