Warum das Bilker Düssel-Ufer jeden Sommer zum Urwald wird / Wie man von einer toten Freiheitskämpferin an einen lebenden Unfreiheitskämpfer erinnert wird / Und wie man dadurch einen Blumenstraußkauf vergisst.
Immer noch Karolingerstraße: Flaches, leuchtendes Grün am Düssel-Ufer, fließendes Wasser vor schönen Altbauten. Wir genießen die Aussicht.
Nur eine Frage der Zeit, bis der Blick auf das Wasser vom Riesenbärenklau
geschluckt wird.
Jahr für Jahr überwuchert diese Pflanze, auch Herkulesstaude genannt, an der Karolinger das komplette Ufer – meterhoch, wie ein kleiner Dschungel. Warum mein bester Freund P. und ich das (inzwischen) wissen? Weil wir (inzwischen) Kinder haben. Und weil (nicht nur) Kinder sich verletzen könnten, wenn sie hier spielen.
Wikipedia sagt:
Berührungen in Verbindung mit Tageslicht können bei Menschen und Säugetieren zu schmerzhaften Quaddeln und blasenbildenden, schwer heilenden „Verbrennungserscheinungen“ (Photodermatitis) führen. Es wird deshalb empfohlen, beim Umgang mit der Pflanze vollständige Schutzkleidung zu tragen, zu der auch ein Gesichtsschutz gehört.
„Ich könnte meiner Frau ja wieder mal Blumen kaufen“, sage ich, als wir von der Karolingerstraße die Kreuzung Brunnenstraße erreichen, wo eine Art Blumenladen-Container steht und die Düssel in einem ca. 30 Meter langem Tunnel verschwindet. Ich habe mich bereits spontan für einen Strauß entschieden, doch dann lenkt mich Ivana Hoffmann ab. Ihr Gesicht klebt an einem der Brückenpfeiler. Streetart in Gedenken an eine politische Kämpferin. Ich erkenne sie, erinnere mich an einen Bericht in Spiegel TV.
Ivana Hoffmann ist eine Deutsche aus Duisburg, die in Syrien für die Kurden gegen den IS gekämpft hat und im März 2015 erschossen worden ist. Mit 19 Jahren.
Ich gucke P. an, P. guckt mich an. „Besser Anti-IS-Kämpfer als IS-Kämpfer“, sagt P., dabei liegt ausnahmsweise kein Zynismus in seiner Stimme, und das hat einen guten Grund: Über einen seiner besten Freunde aus Uni-Zeiten kursiert das Gerücht, er sei nach Syrien gereist und habe sich dem IS angeschlossen. P. hat in seinem Leben mehr Leute kennengelernt als jeder andere, den ich kenne, aber ich glaube, er würde nur sehr wenige von ihnen als Freunde bezeichnen. Einer von diesen wenigen ist vor ein paar Jahren von der Bildfläche verschwunden, kämpft möglicherweise gerade in Syrien für eine Mörderbande, vielleicht sogar dort, wo Ivana Hoffmann gewesen ist. Und das macht einen wie P., der immer so tut als könne ihm keiner und nichts etwas anhaben, traurig. Wenn man ihn gut kennt, dann merkt man das weniger an den Sätzen, die er sagt – eher an denen, die er nicht sagt.
P. schweigt, wir machen ein Foto von der Ivana Hoffmann-Streetart und überqueren die Kreuzung Karolinger / Brunnen / Heresbach. Auf der anderen Seite lehnen wir am Düssel-Geländer. Keine Streetart, dafür ein Schwarm Fische in der gemächlichen Düssel-Strömung. Wer unsere „Reise“ von Anfang an verfolgt hat, erinnert sich vermutlich an meine Faszination für Düssel-Fische. Überall scanne ich den Fluss ab, suche nach Bewegungen. Bisher habe ich auf Karolingerstraße nicht einen Fisch gesehen. Wahrscheinlich ist das Wasser hier einfach zu flach. Nun: Vermutlich Rotaugen oder Rotfedern.
Mein bester Freund P. hat keinen Sinn für Düssel-Fische. „Weißt du noch“, fragt er und zeigt auf das Backstein-Eckgebäude gegenüber. Das Erdgeschoss steht leer, ist zu vermieten, und immer noch erinnert die knallgelbe Glas-Schiebetür an den einstigen Mieter: die lahmarschigste Post-Filiale Düsseldorfs, wenn nicht gar der Welt. „Ja, sage ich, „aber seit die in die Arcaden umgezogen sind, ist es nicht besser geworden.“ Oder ist es normal, dass man bis zu 45 Minuten ansteht, um ein Paket abzuholen, weil zur Rushhour nur zwei von vier Schaltern besetzt sind?!
P. schaut auf die Uhr. „Das wars für heute. Nächste Woche wieder?“
„Hoffentlich!“, sage ich. Dann trennen sich unsere Wege, und zurück im Blumenladen-Container gegenüber bleibt der Strauß, den ich eigentlich meiner Frau schenken wollte und den nun ein anderer kaufen wird.