(#42) Im Eisvogel-Paradies

in Erkrath/Neandertal/Natur

Wie wir in Erkrath-Hochdahl einen Superlativ unterqueren / Wie wir keinen Eisvogel sehen / Und wie sich Neandertalwiesen schmatzend gegen illegale Begehungen wehren.

Wir sitzen im Auto und unterqueren einen Superlativ. Er steht auf einer Eisenbahnbrücke und lautet:„Steilste Eisenbahn-Hauptstrecke Europas bis 1981“.

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„Tja“, sagt mein bester Freund P. „Da war Erkrath mal stolzer Europameister, und dann klaut 1981 einfach ein anderer den Titel.“

„Haben sie aber gut gelöst, die Erkrather Superlativ-Beauftragten“, sage ich.

„Na ja“, sagt P. „Ein Bisschen konstruiert, oder?“

„Konstruiert, aber sympathisch“, sage ich. „Die hatten sich eben an den Rekord so sehr gewöhnt, dass sie ihn behalten wollten.“

„Und warum haben Sie nicht einfach Zweitsteilste Eisenbahnstrecke Europas geschrieben?“

„Weil sie den Superlativ dann früher oder später in Drittsteilste Eisenbahnstrecke Europas hätten ändern müssen. Das wäre zu teuer geworden. Aber wenn da bis 1981 steht, ist es ein Rekord für die Ewigkeit.“

Während wir auf der Landstraße am Rande von Erkrath-Hochdahl dem Neandertal entgegenfahren, zückt P. sein iPhone und googelt (keine Sorge er ist der Beifahrer!). Ein paar Sekunden später zitiert er einen Artikel der Rheinischen Post:

Die steilste Eisenbahn-Hauptstrecke Europas vermutet man vielleicht in den Alpen oder einem anderen großen Gebirgszug, nicht jedoch zwischen dem Bergischen und dem Rheinland. Und doch hielt ein Teilabschnitt der Eisenbahnstrecke Düsseldorf-Elberfeld diesen Rekord über 140 Jahre lang: Der Streckenabschnitt zwischen Erkrath und dem Erkrather Stadtteil Hochdahl hat bei einer Länge von 2449 Metern eine Höhendifferenz von rund 82 Metern. Die Steigung der schnurgeraden Bahnstrecke beträgt 33 Promille.“

„Wäre jetzt natürlich interessant zu erfahren, wer den Erkrathern den Rekord abgejagt hat“, sage ich.

P. zitiert weiter:

Erst 1981 wurde in Frankreich die Hochgeschwindigkeitsstrecke Süd-Ost zwischen Paris und Lyon eröffnet, die zum Teil eine Steigung von bis zu 35 Promille aufweist und somit den Rekord ablöste.“

Wir fahren die Serpentinen Richtung Neanderthal-Museum und parken auf dem Parkplatz vor dem Lokal Neanderthal No. 1. Wer die dieser vorangehende (Doppel)Folge verfolgt hat, weiß mehr – unter anderem auch, dass P. nicht mit von der Partie war.

Ist also alles neu für ihn hier: Wir spazieren flussaufwärts am rechten Ufer der Düssel entlang.

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Beim letzten Mal haben die Gast-Flaneurin und ich ungefähr 1,5 Kilometer von dieser Stelle entfernt den Rückweg angetreten. Eigentlich beginnt unsere heutige Etappe also erst dort so richtig. Ich kenne den Weg schon, mein bester Freund P. noch nicht. Ein Aufkleber am Rande des Weges verrät, wo wir uns befinden:

„Neanderlandsteig. Entdeckerschleifen. Evolutionspfad Romantisches Düsseltal”

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Das Düsselbett schimmert zwischen den Bäumen. Im Frühjahr oder Sommer würden wir unser Flüsschen vom Spazierweg aus wohl gar nicht sehen. Wir spazieren erst an dem verlassenen Haus vorbei, passieren danach die Steinzeitwerkstatt und die Stationen des Skulpturenpfads – und landen dann am Tarpan-Gehege.

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Diesmal tummeln sich hier tatsächlich einige Exemplare der eiszeitlichen Wildpferde. P. fotografiert sie. Mich fasziniert aber eher das Wandgemälde an der Außenwand des Stalls. Dort ist neben anderen Tieren auch ein Eisvogel zu sehen

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„Habe ich dir erzählt“, beginne ich, „dass in den letzten Wochen insgesamt drei Leser auf der facebook-Seite zum Blog geschrieben haben, sie hätten mitten in der Stadt einen Eisvogel gesehen?“ (nachzulesen hier und dort)

„Ist das was Besonderes?“, fragt P.

„Alter“, sage ich, „der Eisvogel – das ist so eine Art Superstar unter den seltenen Vogelarten. Er ist extrem selten, sieht super aus und kommt nur dort vor, wo es genügend Kleinfische als Beute gibt. Ich habe einmal einen am Brückerbach gesehen, dort und im Südpark gibt es wohl genauso wie am Unterbacher See eine kleine Population. Aber in der Stadt?! Das ist schon ziemlich sensationell.“

„Und wo in der Stadt?“

„Also, Corneliusstraße oder Schadowstraße werden es wohl nicht gewesen sein. Die gemeldeten Sichtungen waren an der Südlichen Düssel, Höhe Karolingerstraße, sowie in Derendorf, in der Nähe dieser gelben Brücke, wo die Nördliche Düssel renaturiert worden ist.“

„Schön“, sagt P., „aber dann waren die Eisvögel wahrscheinlich nur auf Wanderschaft, an der Düssel entlang, aber im Gegensatz zu uns eben nicht
flussaufwärts, sondern flussabwärts.“ Er winkt ab: „Schön, dass sie da sind, aber ich habe zu Vögeln kein Verhältnis, ebenso wenig zu Fischen. Du bist hier der Fischförster, ich nicht.“

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Weiter. Entlang des Tarpan-Geheges. Richtung: Gruiten-Dorf.

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Die Düssel verläuft in circa Hundert Metern Entfernung, unerreichbar. Das heißt: Theoretisch könnten wir natürlich versuchen, uns bis an ihr Ufer durchzuschlagen. Über Wiesen, über Zäune, durchs Unterholz. Immer so nah wie möglich am Ufer: In Düsseldorf war das noch unsere Devise – aber da war es auch leichter. Seit wir am Rande von Düsseldorf-Gerresheim in den „Erkrather Urwald“ eingedrungen und mit Schlamm bespritzt und zerkratzt wieder herausgekommen sind, sehen wir es lockerer: Keine illegalen Begehungen mehr. Hauptsache wir folgen – irgendwie – dem Verlauf unseres Flüsschens. Am Ende der eingezäunten Tarpan-Wiese kommen wir ihm wieder näher. Doch uns trennen immer noch Zäune und Tore.

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Als nächste Tierart sind die Auerochsen dran, von denen allerdings keiner auftaucht – weder im Stall, noch auf der breiten Talwiese, auf die fortan unser Blick vom Wegesrand aus fällt. Die Düssel? Wie gehabt: Auf der anderen Talseite, das Gehege begrenzend.

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Endlich kommen wir an die Stelle, wo der Rundweg um das Eiszeitliche Wildgehege nach rechts abzweigt. Würden wir ihm fünfzig Zick-Zack-Meter folgen, kämen wir an die Düssel-Brücke, wo ich beim letzten Mal umgekehrt bin. In diesem Sinne geht es diesmal geradeaus weiter: Der „offizielle“ Beginn der heutigen Etappe. Ein Wegweiser zeigt die Richtung:

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Als wir Fotos machen, überholt uns ein Vater mit Baby im Tragebeutel. Ansonsten: Ziemlich einsam im Neandertal an diesem dunstig-trüben Vormittag im Januar.

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„Man kann die gute Luft hier nicht früh genug atmen“, sagt P. in seinem typischen P.-Ironie-Modus. Ernst meint er das aber trotzdem. Wahrscheinlich klingt P. sogar dann ironisch, wenn er seiner Frau sagt, dass er sie liebt. Jedenfalls: Wenn er hier in der Nähe wohnte, wäre er der erste gewesen, der mit seinem Kindern Kilometer für Kilometer durchs Neandertal marschiert.

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Nun verläuft der Weg leicht bergauf. Ein Fahrradfahrer kommt uns entgegen und grüßt. Zwischen uns und der Düssel: Die Talwiese. Dann gabelt sich der Weg, wir nehmen die Abzweigung, die am Rande der Wiese verläuft. Die Wiese wird schmaler, die Düssel kommt näher. Da! Zwischen den blätterlosen Bäumen können wir sie erkennen.

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P. schießt einige Fotos. Auffallend: Um diese Jahreszeit gibt es hier nur drei Grünsorten: Moosgrün, Efeugrün, Wiesengrün. Das mag sich trist anhören, hat aber seinen Reiz. Man kann mit den Blicken tiefer in den Wald eindringen, nimmt die Landschaft anders wahr, als wenn man von einer quasi durchgehend „grünen Wand“ umgeben ist.

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Die Düssel mäandert am Waldrand durch die Wiese. Darf so sein, wie sie möchte. Das bilden wir uns zumindest ein. An einer Stelle der Wiese fehlt der Stacheldrahtzaun. Ich schaue P. an, P. grinst. Er weiß, was ich vorhabe. „Geh alleine“, sagt er. „Ich habe keinen Bock auf die Matsche.“

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„Matsche?“, sage ich. „Quatsch, das ist eine ganz normale Wiese, allenfalls ein Bisschen feucht.“ Und als ich den Satz zu Ende gesprochen haben, bin ich bereits auf dem Weg zur Düssel. Vor mir liegen circa 30 Wiesen-Meter. Wenn wir der Düssel im Neandertal schon nicht direkt am Ufer folgen können, so möchte ich mich doch zumindest für einen Moment so nahe wie möglich an ihrem Ufer aufhalten. Fast habe ich es geschafft. Mein Status: Kurz vor dem Einsinken, aber noch keine „Matschschuhe“. Kurz bevor ich die die Düssel erreiche, wird der Boden feuchter und weicher, und ich gehe schneller.  Der Kommentar der Wiese: Sie schmatzt im Takt mit, Schritt für Schritt. Jeder Schmatzer ist eine Ermahnung, und beim letzten Schritt sinke ich tatsächlich so weit ein, dass Wasser in meinen Schuh gelangt. Ich lerne: Das „Ordnungsamt“ des Neandertals bestraft das Verlassen des  Weges mit nassen Socken. Immerhin bekomme ich für meine Grenzverletzung eine „Belohnung“: Ich stehe am Rande der stacheldrahtbegrenzten Düssel und mache Fotos. Besonders gefällt mir die schmale, von einem größeren und mehreren kleinen Bäumen bestandene Insel. Wäre es Sommer und wäre ich ein Kind, dann hätte mich nichts davon abhalten können, auf eben diese Mini-Insel zu gelangen. Der ideale Ort für ein Bandenhauptquartier!

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Zurück – und weiter den regulären Weg entlang, einen kleinen Bach passierend. Fotos hier, Fotos da. In der Nähe steht eine Infotafel, auf der die Düssel gewürdigt wird: Wie sie Landschaft gestaltet, wer in ihr lebt, und so weiter. So etwas müsste es auch in Düsseldorf geben, an die dortige Situation angepasst. Denn die Bachforellendichte in Bilk oder Derendorf dürfte wohl eine andere sein als hier im Neandertal.

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Kurz darauf die nächste Infotafel, diesmal widmet sie sich dem Buchenwald. Derweil entfernt sich das Bett der Düssel wieder, verläuft am Rande einer Wiese, mehr oder weniger parallel zum Weg.

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Wir spazieren ein wenig hoch und ein wenig herunter, und dann gelangen wir an einen Abschnitt, wo das Düssel-Ufer unmittelbar an den Spazierweg grenzt. In der Mitte des Flusses: Eine Insel, diesmal deutlich größer, mit diversen Bäumen auf ihr und zum Weg hingewandt von einer alten Backsteinmauer begrenzt. Auf einem Schild lesen wir, was es damit auf sich hat: Es handelt sich um den Rest eines Flößwehrs aus der zweiten Hälfte es 19. Jahrhunderts, mit dem Düsselwasser auf die angrenzenden Felder umgeleitet wurde.

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So ist auf dem Schild zu lesen: „Seit Jahrhunderten bewässerten die Bauern Wiesen, um die Heuernte durch die düngende Wirkung des Bachwassers zu steigern. Denn es gab noch keinen Kunstdünger. Die Bäche hingegen waren nährstoffreich, da die Haus- und Gewerbeabwässer meist ungeklärt in die Bäche geleitet wurden.“

„Das bedeutet ja anscheinend“, sage ich, „dass die Leute damals unter anderem ihre Scheiße in die Düssel geleitet haben.“

„Kunstdünger oder Scheiße“, sagt P. mit seiner P.-Ironie. „Das ist hier die Frage.“

„Mich würde ja mal interessieren, wie dieser Cocktail damals den Forellen geschmeckt hat. Ich habe irgendwo gelesen, die Düssel im Neandertal sei für ihren Fischreichtum berühmt gewesen.“

„Wahrscheinlich hatten die nichts gegen ein paar Nährstoffe.“ P. macht ein grunzendes Geräusch. „Gut, dass wir hier wieder mal die ganz großen Themen verhandeln.“ Er schaut auf seine Uhr. Also, langsam sollten wir vielleicht umkehren, ich habe nicht ewig Zeit.“

Hatte ich eigentlich schon erzählt, dass wir uns vorgenommen hatten, heute bis zu einem Punkt zu gelangen, in dessen Nähe wir beim nächsten Mal unkompliziert parken können? Um zu vermeiden, dass wir – wie heute – eine Strecke zum zweiten Mal abwandern müssen.

„Komm“, sage ich, also wir einen Teich erreichen, in dessen Mitte eine Weide auf einer Insel thront. „Da vorne ist ein Haus, da muss es auch eine Straße geben. Bis dahin gehen wir noch, und das war´s dann für heute.“

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Wir erreichen ein Fachwerkhaus, wir erreichen einen asphaltierten Weg, und wir erreichen die Düssel, die von eben diesem Weg mit Hilfe eine Brücke überquert wird. Ich schaue aufs Smartphone: Laut Google Maps müsste es sich um die Verlängerung des aus Hochdahl-Millrath kommenden Höhenwegs handeln: Unser heutiger Endpunkt, unser künftiger Startpunkt. Gemerkt, ein paar Fotos gemacht, umgekehrt. Bis zum nächsten Mal!

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P.S. Einen Eisvogel haben wir im Neandertal übrigens nicht gesehen – was sicher auch mit dem zu tun hat, was Tante Wikipedia zu erzählen weiß (womit auch die im Herbst in Bilk und Derendorf gesehenen Eisvögel zu erklären wären):

Während die Altvögel meistens auch außerhalb der Brutsaison in ihren Revieren bleiben, streifen die selbstständigen Jungvögel auf der Suche nach einem geeigneten Gebiet ungefähr von Juli bis Mitte Oktober umher. Die Wanderungen können wenige bis 1000 Kilometer umfassen. Dabei legen Weibchen meist größere Entfernungen zurück als Männchen. Die Jungen aus Zweit- und Drittbruten legen häufig längere Wanderungen zurück. Haben sie ein Revier für den Winter gefunden, wird es in Hinblick auf die Gewässer und die Umgebung erkundet. Auf die Eignung als Brutrevier in der nächsten Brutsaison wird es unter anderem durch Besuche in Brutrevieren anderer, noch späte Bruten aufziehender Vögel, beurteilt. Ab November stellen sie größere Ortsbewegungen ein und nehmen in Erwartung des kommenden Winters von knapp 40 Gramm im Spätsommer auf 44 bis 46 Gramm zu.

LESETIPP: Im Gastbeitrag von Andrew Uhlemann kann man lesen und sehen, wie der Düssel-Abschnitt der heutigen Etappe von der anderen Ufer Seite aussieht.

2 Comments

  1. Moin

    Zur Zeit kann man eine Eisvogel mit viel Glück am Mettmanner Bach zwischen der Eisenbahnbrücke und dem Neandertahler im Kreis entdecken. Sichtungen sind seit drei Monaten bekannt, leider keine Fotos möglich ,zu scheu und zu schnell.
    In Höhe der Bänke ist der klein Fisch Bestand ausgiebig zu beobachten. Dort ist sein bevorzugtes Jagdrevier.

    • Vielen Dank für die Info 🙂 Am Brückerbach in Düsseldorf kommt der Eisvogel ja auch vor. Ich träume immer noch davon, ihn mal auf einem Foto erwischen zu können 😉

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