(#36) Brückenlandschaft

in Erkrath/Neandertal/Natur

Wie wir gemeinsam mit unserem Flüsschen die A3 unterqueren /  Wie es unter einer Autobahn aussieht / Und wie wir kurz vor dem „Eingang“ ins Neandertal eine vorbildliche Düssel-Plattform entdecken.

Erkrath, in der Bachstraße: Mein bester Freund P. ist wieder gesund. Die erste Folge ohne ihn und mit „Gast-Flaneur“ kam gut an. Und nach einer mehrwöchigen Flanier-Pause beginnen wir heute direkt mit einer „Knaller“-These: Keine der Düssel-Brücken, die wir seit der In-den-Rhein-Mündung überquert haben, bringt einen so großen Wechsel mit sich wie die, vor der mein bester Freund P. und ich in diesem Moment stehen: Von der Sackgasse am Ende einer Wohnstraße mit Ein- und Mehrfamilienhäusern mitten in eine weite Ebene hinein. Das Ende der “Zivilisation”, quasi …

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„Es mag übertrieben klingen“, sage ich. „Aber es fühlt sich an, als befände sich genau hier die Grenze zwischen dem mal mehr, mal weniger urbanen Teil unseres Etappen-Spaziergangs Richtung Düssel-Quelle und der „wilden“ Natur des Bergischen Landes.

„Und was ist mit der da?!“, sagt P. und zeigt auf die ein paar Hundert Meter entfernte Brücke, mit der die A3 das Tal überwindet.

„Die Brücke ist die endgültige Grenze“, sage ich und grinse. „Und die Landschaft davor ist der Grenzstreifen.“

P. runzelt die Stirn. „Na ja!“

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Um meine Argumentation zu untermauern, hole ich mir die beste Freundin aller Klugscheißer zur Hilfe. Die Gute heißt Wikipedia, und ein paar Sekunden später präsentiere ich meinem besten Freund P. einen Auszug aus dem Eintrag über die Stadt Erkrath:

Durch ihre Lage in den Bergischen Heideterrassen zwischen dem Niederrheinischen Tiefland und den Bergischen Hochflächen kann sie als Übergangsraum beiden Landschaften zugeordnet werden.

„Eigentlich beginnt das Neandertal offiziell erst auf der anderen Seite der Autobahnbrücke“, weiß P. und zeigt erneut auf das Monster, das mit seinen Betonbeinen mitten in der grünen, weiten Ebene steht. Wir überqueren die Düssel-Brücke und folgen unserem Flüsschen. Auf der anderen, der „urbanen“ Seite: Ein Kinderspiel- und Bolzplatz, von der Düssel getrennt durch den längsten Jägerzaun Erkraths (Gegenbeweise per Foto an uns!).

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Immer wieder erstaunlich, wie wild die Stadt Erkrath die Düssel sein lässt. These: Allein zwischen Bachstraße und Autobahnbrücke finden sich auf ein paar Hundert Metern mehr in das Flüsschen gestürzte Bäume als in ganz Düsseldorf.

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„Wäre ich ein Kind, würde ich hier den ganzen Sommer Über-die-Düssel-Balancieren spielen“, sage ich.

„Du könntest auch das Rohr da drüben nehmen“, sagt P. “Wäre aber gefährlich.”

Was hier über die Düssel transportiert wird? Wir haben keine Ahnung. Wasser wohl kaum. Gas? Vielleicht wissen es ja die Blog-Leser …

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Und dann stehen wir auch schon unter der Autobahnbrücke, und es ist ziemlich staubig, und die Pfeiler sind teils bunt besprayt, und irgendwie  sieht so eine dreispurige Autobahn erstaunlich schmal aus, wen man unter ihr steht. Wir fragen Google und erhalten weitere Infos: Es ist eine „Hohlkastenbrücke“, die 1985 fertiggestellt wurde. Und sie hat sogar einen Namen: Düsseltalbrücke. Passt!

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Tatsächlich wird die Landschaft erst „drüben“, jenseits der Autobahn, hügeliger, und es zeichnet sich ein “richtiges” Tal ab.

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Ja, das müssen die Ausläufer des Neandertals sein, das in der ganzen Welt berühmt ist. Dutzende, wahrscheinlich sogar hunderte Male habe ich es in meinem Leben oben von der A3 aus gesehen. Wobei: „gesehen“ ist übertrieben. Ein paar einigermaßen steile Hänge mit grünen Wiesen. Soviel, wie man eben erspähen kann, wenn man mit Tempo 100 oder mehr ein Auto lenkt und für ein oder zwei Sekunden aus dem Fenster blickt. Doch gleich werde ich es endlich „live“ erleben, das berühmteste Tal der Welt. Okay, zumindest Europas? Oder Deutschlands? Auf jeden Fall Nordrhein-Westfalens. Wahrscheinlich ist man als Düssel-Flaneur automatisch ein Neandertal-Lobbyist, denke ich – und ziehe in Erwägung auf den englischsprachigen (!) Wikipedia-Eintrag des Neandertals zu verweisen. Ach, komm, egal, weiter!

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Praktisch bei Regen für Rosse und Reiter: Der Raum unter der Brücke wird vom einem nahe gelegenen Pferdehof mit genutzt. Hier sind mehrere Street Art-Bilder auf den Brückenpfeilern zu sehen, vermutlich offiziell beauftragt, denn sie spiegeln die Geschichte des Neandertalers. Ein auf die Schnelle ergoogelter Presseartikel bestätigt die Annahme:

(…) Vier Sprayer und der Erkrather Künstler Ralf Buchholz haben aus grauem Beton eine kunterbunte Landschaft gemacht. (…)“

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Auf einem der Pfeiler wird sogar auf den Wanderweg zu einem Neandertaler-Denkmal hingewiesen, der allerdings bergauf führt – also nichts für Flusswanderer wie uns.

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Von der Straße Haus Brück biegen wir in die Mettmanner Straße ein, die kurz darauf von der Düssel unterquert wird. Ein paar Fotos – und weiter geht’s.

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Bestimmende Frage: Wo ist der Fußweg, der entlang der Düssel durchs Neandertal führt? Geben muss es ihn, das wissen wir.

„Ich schätze, wir sind wieder mal nicht vorbereitet heute, oder?“, sagt P. und hebt pseudoentschuldigend die Arme. „Ich hatte keine Zeit, musste durcharbeiten. Wochenlang!“ Er grinst sein P.-Grinsen.

„Bei mir chronische Wanderkartenallergie“, sage ich und knipse ein Auge zu.

„Google Maps?“, fragt P. und zückt sein iPhone.

„Als ob wir ohne Google Maps nichts mehr auf die Reihe kriegen würden“, sage ich. „Wie haben das die Menschen denn früher gemacht?“ Und während ich das sage, spüre ich, dass ich es nicht nur ironisch, sondern auch ein Bisschen erst meine.

„Wanderkarten?“, fragt P.

„Nee, Instinkt!“, sage ich.

„Na, dann  lass deinem Instinkt mal freien Lauf!“, sagt P.  und klingt dabei skeptisch, amüsiert und ironisch zugleich.

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Mein Instinkt sagt mir … irgendwie gar nichts. Auf der anderen Straßenseite: eine Art Mini-Sackgasse vor Privathäusern. Da kommen wir nicht weiter. Also  spazieren wir auf dem separatem Fahrradweg Richtung Mettmann. Neben uns: Ein langgezogenes Gebäude mit der Aufschrift „Brügger Mühle“. Die Düssel müsste genau dahinter verlaufen. Hoffnung: Gleich rechts abbiegen und zu ihr stoßen. Also erst mal weiter die Landstraße entlang. Autos rasen vorbei. Und Busse. Und wenn man zurückblickt, sieht man die Düsseltalbrücke.

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„Naturidylle ist das noch nicht“, sage ich.

P. zieht eine Augenbraue hoch und zeigt auf den grünen Hang, der sich gegenüber der Brügger Mühle erstreckt. „Da schon!“

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„Ja, aber an dem Hang ist nicht die Düssel!”, sage ich. “Flüsse verlaufen im Tal. Hat du sicher schon mal gehört!“

P. kontert, das Battle geht los: „Du bist ein Düssel-Fetischist! Und ein Pedant, mit einem Horizont so limitiert wie ein Flussbett!“

„Und du lässt dir von jedem grünen, mit Cloudporn garniertem Hügel schöne Augen machen! Fokussier dich mal! Im Job kannst du das doch auch, wenn du dir Slogans und Konzepte ausdenkst, um Produkte zu verkaufen.“

„Ja, Herr Oberlehrer, aber für Werbung werde ich bezahlt. Und das hier ist Freizeit, und in der Freizeit will ich mich nicht fokussieren, ich will flanieren – so absichtslos wie möglich.“

„Dummerweise heißt unser Blog nicht Durch-die-Gegend-Flaneur, sondern Düssel-Flaneur – und zwar mit Absicht.“

Wir erreichen die Einfahrt der Brügger Mühle und spazieren über die Straße in den Hof. Vor uns: Ein Schild mit Werbung für das neue Wohnquartier an der Erkrather Bismarckstraße („Wohnen an der Düssel … 911 Meter links“), das wir bereits in der vorherigen Blog-Etappe passiert haben. Und eine Übersicht über die Firmen, die auf dem Gelände arbeiten.

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Weiter, das Gebäude entlang, diesmal in der entgegensetzten Richtung. Vorbei an einer Kochschule. Mein bester Freund P. kann es nicht lassen, tippt etwas in sein iPhone und präsentiert mir Sekunden später einen Text. „Damit du weißt, wo wir uns befinden. Kann doch nicht schaden, oder?“

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Widerwillig lese ich die Info über die Brügger Mühle, die sich auf der Website der „Kochwerkstatt“ findet:

Die Brügger Mühle – ist sie Industriegelände, Firmensitz, Ideenwerkstatt, Kulturort? So viel schon mal vorweg: sie ist etwas Besonderes in der Region, eine Privatinitiative mit kulturellem Anspruch. Initiator und Mäzen ist Hasso von Blücher, Eigentümer der Blücher GmbH, die ebenfalls auf dem Gelände ansässig ist. Aus der früheren Korn-, dann Öl- und später Papierfabrik ist ein modernes Büro- und Kommunikationszentrum geworden, der Firmensitz von Grafikdesignern, Architekten, Medienleuten und produzierenden Gewerben. Die Brügger Mühle liegt am Ortsausgang Erkraths, am Eingang des Neandertals, ein von der Düssel bogenförmig eingefasstes Industriegelände mit Bauten im Stil der 30er Jahre. Die frühere Industriebrache ringsherum wurde liebevoll bepflanzt, Teiche und andere Biotope wurden angelegt. Dabei spielten ökologische Gesichtspunkte eine große Rolle. So wurden alte oberirdische Versorgungsleitungen erhalten und mit Kletterpflanzen begrünt, Glasfassaden mit Wein abgeschattet. Genauso behutsam ging man mit den historischen Zeugnissen um, die nach und nach zutage traten. Heute ist die Brügger Mühle ein idyllisches Kleinod. Hasso von Blücher hat hier einen Ort geschaffen, an dem sich Arbeitsplatz, Natur, Kunst und Kultur harmonisch und inspirierend begegnen.

„Na ja, hört sich nicht schlecht an“, sage ich. „Aber wo ist die Düssel?“ Ein Stück weiter entdecken wir das Flussbett, ein paar Meter unterhalb der Parkplätze, schräg aus dem Wald kommend.

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„Wow“, macht P.

„Super“, sage ich.

Der Grund unserer Begeisterung: Eine stylishe „Aussichtsplattform“ mit Bank, direkt am Flüsschen. Wahrscheinlich ist sie ausschließlich den Leuten vorbehalten, die in der Brügger Mühle arbeiten. Aber als Düssel-Flaneure arbeiten wir hier ja auch – zumindest in diesen Minuten. Runter also, über ein Treppchen.

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„Genau so etwas vermisse ich in Bilk und Unterbilk“, sage ich. „Dass man nahe an die Düssel rankommt und sich direkt am Wasser hinsetzen kann.“

P. schweigt, macht Fotos. Ich fahre fort: „Stell dir mal vor, man würde irgendwo an der Karolingerstraße so eine Plattform in die Böschung am Düsselufer einbauen. Das wäre doch genial!“

P. winkt ab, deutet auf seine Armbanduhr. „Ich muss arbeiten, lass uns mal auf den Rückweg machen!“

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Über eine uralt wirkende Brücke überqueren wir erneut unser Flüsschen, werfen noch mal aus der „Ferne“ einen Blick auf die Düssel-Plattform und landen schließlich genau auf eben jener von der Mettmanner Straße abzweigenden Mini-Sackgasse, die wir 15 Minuten zuvor als „privat“ eingestuft haben. Dabei entdecken wir neben dem Gartentor eines Privathauses etwas, das beweist, dass die Zufahrt offenbar doch nicht hunderprozentig privat ist: Ein Schild – schon leicht zugewachsen –, das den hier in den Wald abzweigenden „Erlebnis-, Lehr- und Wanderpfad Neandertal“ anpreist.

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Mein bester Freund P. lacht: „Siehste! Mit Google Maps wären wir direkt hier gelandet.“

„Und hätten womöglich die tolle Düssel-Plattform verpasst!“, sage ich.

In der Tat: Als ich Google Maps auf meinem Smartphone aufrufe und unseren Standort ranzoome, entdecke ich ihn sofort: einen weiß
markierten Weg, der die Düssel von dieser Stelle aus am (flussaufwärts gesehen) rechten Ufer begleitet.

Und so endet diese Etappe damit, dass wir beide Recht haben.

Wäre es eigentlich unsouverän, jetzt noch mal zu erwähnen, dass P. ein genauso großer Klugscheißer ist wie ich?

Fazit: Beim nächsten Mal flanieren wir von hier aus weiter. Und jetzt: Raus aus der unscheinbaren Mini-Sackgasse mit dem Neandertal-Geheimnis, zurück in den Alltag zu den Autos.

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