(#57) Wenn nach sieben Jahren die Quelle das Finale ist

in Bergisches Land/Düsseldorf/Wuppertal

Wie wir über vermatschte Wanderwege „flanieren“ / Warum die Düssel mindestens drei Quellen hat / Und wo im Düsselhügelland die Fahne von Schalke 04 weht und man „Cilena“ und „Lara“ kaufen kann.

Im Jahr 2014 ging es los, an der Rhein-Promenade, auf Höhe der Mündung der Südlichen Düssel. Und jetzt: die letzte Etappe, auf der wir endlich die Quelle unseres Flüsschens erreichen werden. Wie beim letzten Mal parken wir am ehemaligen Kalkwerk Schlupkothen, nehmen den Wanderweg entlang der Düssel (Teil der „Entdeckerschleife Steinbruch Schlupkothen“), die auch in Herbst und Winter hinter Büschen und Bäumen lediglich zu erahnen ist und auf die wir nur zwischendurch einen kurzen Blick erhaschen.

Auf jeden Fall scheint unser Flüsschen heute mehr Wasser zu führen, als bei den letzten beiden Besuchen.

„Müssen wir uns jetzt, auf der Zielgeraden eigentlich feierlich unterhalten?“, fragt mein bester Freund P., der seit Beginn fast immer mit von der Partie war und mich natürlich auch bei dieser finalen Etappe begleitet, flankiert von seinem so blinden wie attraktiven Hund Manolo.

„Wir sind sehr stolz, dass wir nach sechs Jahren und 56 Etappen nun endlich die Düssel-Quelle erreichen“, sage ich. „So was in der Art?“

„Ja, genau, so PR-Sprech-mäßig“, sagt P. „Dabei bin ich gar nicht stolz, ich bin froh, dass die Düssel ein eher kurzes Flüsschen ist.“ Er grinst sein ironisches P.-Grinsen. „Sechsundvierzig Kilometer reichen.“

„Aber wir sind es ja selbst schuld“, nehme ich den Ball auf, „die Strecke können geübter Wanderer in einem Tag schaffen, wenn sie sich anstrengen.“

„Wanderer!“, schnaubt mein bester Freund P. gespielt-verächtlich. „Wir sind keine Wanderer, wir sind Flaneure.“

„Kann man eigentlich auch durch Matsche flanieren?“, frage ich und überspringe eine Pfütze.

Nach zehn Minuten, hier und da über den Weg blockierende Bäume hinweg, stehen wir an der Stelle, wo die heutige Etappe „richtig“ beginnt: Ein Fußgängertunnel, der die A535 unterquert. Wir durchschreiten ihn, machen es quasi der Düssel nach, die sich – für uns unsichtbar – hundert Meter weiter südlich durch ein eigenes Rohr den Weg unter der Autobahn bahnt. Gleichzeitig verlassen wir das Stadtgebiet von Wülfrath und betreten das Stadtgebiet von Velbert.

Im Oberdüsseler Wald

Direkt nach dem Tunnel teilt sich der Weg teilt in zwei Hälften. Die linke ist ohnehin als Ruhezone und Wildschutzfläche für den Durchgang gesperrt. Die rechte teilt sich ein paar Meter weiter erneut. Wir nehmen wiederum den rechten, weitaus schmaleren Weg, der erstaunlich steil nach unten abzweigt.

Schon kurz darauf schimmert in einiger Entfernung die Düssel im Tal zwischen den Bäumen hindurch – und wirkt „potenter“ als erwartet. Offenbar von Düsselwasser gespeist erstreckt sich ein von Schilf bestandener Teich neben dem Ufer. Und unser Flüsschen – das sprudelt keck aus einem Rohr, das aus der Steilwand ragt.

Unsichtbare Düssel

Nachdem wir einige Fotos gemacht haben, nehmen wir an der T-Gabelung, auf die der Weg zuführt, die linke Abzweigung. Laut Google Maps führt sie entlang der Düssel, die etwa zwanzig Meter unter uns in einer Kuhle verläuft. Verlaufen müsste. Denn da ist: nichts. Zumindest: kein Wasser. Doch nur ein paar Meter weiter: Da ist jede Menge Wasser. Wasser, das wir gerade noch gesehen haben, Wasser, das auf der anderen Seite des Wegs, unten neben dem Teich aus dem Rohr sprudelt. Doch wo kommt es her? Nichts zu sehen. Nicht mal ein Rinnsaal oder ein durch Feuchtigkeit angedeutetes Flussbett. Nur Laub, Äste, umgefallene Bäume, Gestrüpp.

Wir folgen dem Weg, entlang des nicht vorhandenen Flüsschens.

„Die verläuft hier sicher so halb unterirdisch, und da liegt Laub drüber“, vermutet mein bester Freund P.

Und siehe da: Nach rund fünfzig Metern „flussaufwärts“ haben wir wieder Sichtkontakt. Die Düssel, am Rand der Senke, durch das „urwaldmäßige“ Unterholz nicht zugänglich. Offenbar versickert sie hier in einem Teilabschnitt, verläuft auf natürliche Art und Weise inkognito und kommt erst flussabwärts, am eben erspähten Weiher, wieder zum Vorschein.

Ein paar Meter weiter macht der von Laub bedeckte und bis dahin leicht ansteigende Weg einen Rechtsknick, führt schräg nach unten, genau in die Senke hinein und über die Düssel hinweg, während im Hintergrund von Wiesen bedeckte Hügel am Waldrand durchschimmern.

Mein bester Freund P. macht ein Foto von Manolo, der durch das Wasser spaziert.

Dann inspiziert P. auf seinem iPhone Google Maps: „Das hier müsste der Hauptlauf der Düssel sein, und da vorne …“, er zeigt bachaufwärts, „… dürfte sie von Westen her zusätzliches Wasser durch einen weiteren Zulauf erhalten, und weiter östlich, da gibt es noch einen dritten Düssel-Arm.“

„Gar nicht so einfach zu erklären, oder?“, sage ich.

„Doch“, sagt P. „Im Prinzip ist es ganz einfach: Auf den grünen Hügeln über uns gibt es drei Düssel-Quellen, die durch die Wiesen sprudeln und im Tal zusammenfließen, und die höchstgelegene von Ihnen gilt als die offizielle Quelle, ist also unser heutiges Ziel.“

Wir bleiben zunächst auf „unserer“ Seite des Ufers, versuchen der Düssel zu folgen. Direkt am Ufer würden wir im Matsch versinken, daher nehmen wir einen zugewachsenen Trampelpfad, der in der Nähe des Ufers verläuft, nicht parallel, aber immerhin fast in die „richtige“ Richtung. Schnell erreichen wir den Waldrand. P. schaut auf die Karte: „Das ist der linke Zulauf, den man auf der Karte sieht, die Haupt-Düssel verläuft da vorne durchs Feld.“

Ein Flüsschen mit drei Quellen

Vor uns: ein eher kleines Rohr, aus dem das Wasser in ein schmales Bachbett sprudelt. Quasi die westliche Neben-Düssel. Die „Haupt-Düssel“ verschwindet etwas weiter hügelaufwärts – da, wo am Waldrand das Grün der Wiesen beginnt – aus unserem Sichtfeld. Dort kommen wir nicht weiter, das heißt theoretisch schon, aber anders als zu Beginn unserer Düssel-Wanderung haben wir längst nicht mehr die Ambitionen immer so nah wie möglich am Ufer entlang zu spazieren. Wenn ein Stacheldraht im Weg ist, dann geht es eben nicht, und wir suchen andere Wege, um vorwärts zu kommen.

Also: den Trampelpfad zurück, zurück zu der Mulde, wo die Haupt-Düssel verläuft. Durch den Regen der vergangenen Tage ist sie so „breit“, dass man schon einen kräftigen Sprung hinlegen müsste, um sie in einem Satz zu überwinden. Da wir keine Lust haben, nach der Landung bis zu den Knöcheln im feuchten Boden zu versinken, wählen wir lieber einige größere Steine als Tritt-Inseln.

Es geht bergauf, wir blicken zurück, machen Fotos.

Dann folgen wir dem schmalen Pfad, parallel zum Waldrand, und stoßen auf den dritten Quell-Arm unseres Flüsschens. Diese westliche Neben-Düssel kreuzt den Weg, mitten durch eine Mini-Schlucht, fließt durch ein Rohr, das auf den Fotos, die P. macht, viel größer aussieht als es ist.

Weiter am Waldrand entlang, über umgefallene Bäume hinweg, stets Gefahr laufend, im aufgeweichten Boden zu versinken. Am Rand laufen ist angesagt. Oberhalb erkennen wir am Wiesenhang die Ausläufer eines Bauernhofs, mit rund gebundenen Heuballen. Dort oben, in Wülfrath-Blomrath, liegt die offizielle Quelle – 250 Meter Luftlinie entfernt, für uns jedoch nur über einen Umweg zu erreichen.

Unterwegs im Düsselhügelland

Wir machen einen Schlenker, bleiben auf dem Pfad am Waldrand. Buchen und Eichen. Irgendwo im Dickicht muss sich die Quelle des erwähnten westlichen Ursprungsarms der Düssel befinden. Nach rund 300 Metern treffen wir schließlich auf einem landwirtschaftlichen Nutzweg, bei dem es sich – wie Google Maps verrät – um die Verlängerung der bereits zu Velbert gehörenden und trefflich betitelten Hügelstraße handelt.

Über den bergauf führenden und von Feldern gesäumten Schotterweg erreichen wir die Asbrucher Straße, eine Landstraße an der Grenze zwischen Wülfrath und Velbert. Kleines Düssel-Flaneur-Detail: ein Teilabschnitt der Haupt-Düssel nahe der Quelle scheint, wenn die Angaben von Google Maps stimmen (was eben nicht immer der Fall ist), exakt auf der Wülfrath-Velbert-Grenze zu liegen.

Mein bester Freund P. erwähnt nach einem Blick auf sein iPhone, wir sollten im Beitrag doch unbedingt erwähnen, dass der Quellbereich der Düssel zum Düsselhügelland gehöre, und dieses Düsselhügelland habe sogar einen eigenen Wikipedia-Eintrag, und was er darin gerade gelesen habe höre sich ziemlich interessant an, aber er könnte das ja schlecht zitieren, auch wenn es eigentlich gar nicht so viel sei, und außerdem sei er ja auch kein Geologe, und dann unterbreche ich ihn und sage: „Okay, ich kopiere den Eintrag einfach in der Beitrag hinein.“

Das Düsselhügelland ist eine Naturräumliche Einheit in Nordrhein-Westfalen mit der Ordnungsnummer 3371.18. Das leicht wellige Hügelland (200 bis 250 m) umfasst den oberen Einzugsbereich der Düssel und ihren Zuflüssen (EigenbachBrucher BachHolzer Bach) zwischen der Quelle und der Wülfrather Ortschaft Düssel. Neben den südöstlichen Wülfrather Ortsteilen und Gemarkungen Düssel, SchlupkothenKoxhofAprathOber- und Unterdüssel zählt auch das Wuppertaler Wohnquartier Eckbusch zu dem Naturraum.[1] Geologisch besteht das Hügelland aus oberdevonischen SchiefernSandsteinen und Grauwacken mit Kalkbänken der Velberter Schichten. Es erhebt sich deutlich über die Wülfrather und Dornaper Senken.

Über einen asphaltierten Fahrrad- und Fußweg am Rande der Landstraße erreichen wir endlich den bereits aus dem Tal erspähten Bauernhof: Gut Blomtrath. Am Rande der Zufahrt thront ein überdimensionaler Apfel, und auf einem Schild ist zu lesen, welche Kartoffelsorten aus eigener Ernte im Hof käuflich zu erwerben sind. Nämlich: Cilena und Lara. Auf einem weiteren Schild sind die entsprechenden Apfelsorten vermerkt: Jonagold, Boskoop, Elstar.

Die Bauerhof-Zufahrt führt auf mehrere weiße Gebäude zu. Vor dem ersten Haus: ein nach rechts zeigender Wegweiser, den Menschen, die nicht nach Wegweisern suchen, leicht übersehen könnten. Aufschrift: Düssel-Quelle.

Wir wenden uns also nach rechts, passieren zunächst zwei vor der Hauswand stehende und zu Pflanzenkübeln umfunktionierte Badewannen, dann den Besucherparkplatz, der nur für ein Fahrzeug vorgesehen ist und nur für 15 Minuten benutzt werden darf. Neben einer Trockensteinmauer und vier aufeinander geschichteten, mit Erde gefüllten und blau-weiß gestrichenen Autoreifen folgen die nächsten Schilder: „Zur Düssel-Quelle“ steht auf dem einen. Und: „Achtung!!! die Pumpe läuft mit Brauchwasser kein Trinkwasser“ auf dem anderen. Darüber und darunter hat jemand mit Edding Ergänzungen hinzugefügt: „Im Sommer“ sowie „MI SA SO 10-17 Uhr“.

„Was das wohl bedeutet?“, frage ich, meinem inneren Drang nach Vereindeutigung folgend.

„Ist ja wohl klar“, sagt mein bester Freund P. „Momentan ist genug Wasser da, auch ohne Pumpe. Und wahrscheinlich ist generell die gesamte Wiese rund um den Hof so eine Art Quellmulde, aber die Jonges mussten sich ja auf einen einzigen Punkt einigen.“

Mit Jonges meint P. den Heimatverein Düsseldorfer Jonges, der im Jahr 1936 diesen Ort zur offiziellen Düssel-Quelle kürte. Denn eine Quelle, die „irgendwo“ auf einer Wiese liegt – das ist nicht fassbar.

Wir gelangen auf eine Rasenfläche, einige Meter unterhalb des Parkplatzes. Dort: Eine Bank. Und der Quellstein – ein mächtiger Findling, leicht erhöht auf einer Mauer, laut Beschriftung im Jahr 1986 von den Jonges neugestaltet. Daneben ein weiter großer Stein, mit der Aufschrift: „Hier entspringt die Düssel.“

„Hier entspring die Düssel“, bewacht von „Schalke 04“

Vor dem Quellstein sammelt sich Wasser in einem flachen Becken und fließt von dort in einem kleinen Rinnsaal durch eine kleine Wiese, bevor es hinter Büschen verschwindet, um sich dem Tal und der großen Wiese zu nähern.

„Tja, war es das jetzt?“, fragt mein bester Freund P., während wir etwas unschlüssig vor dem Quellstein stehen.

„Klar, meintest du, hier spielt jetzt ne Kapelle für uns auf, oder was?“, frage ich zurück.

„Ich finde da ja schwierig“, sagt P. „Also nach 56 Etappen, die man im Blog beschrieben hat, den letzten Satz zu finden.“

„Ich nicht“, sage ich. „Werde das einfach aufschreiben, und dann entsteht der letzte Satz eben spontan, ohne das groß zu planen.“

„Und wie wäre das, wenn da Schalke 04 drin vorkommt?“, sagt P. und deutet auf die Fahne die vor dem oberhalb der Quelle gelegenen und durch „Warnung vor dem Hunde“-Schild „gesicherten“ Kleingarten weht.

„Schalke 04?“, sage ich und tue so, als sei ich empört, und gleichzeitig wird mir klar, warum die Autoreifen blau und weiß gestrichen sind. „Nee, also das geht nicht!“

„Wir sind hier eben schon im Bergischen Land“, sagt P., „da ist fußballfanmäßig alles möglich – von Wuppertaler SV über Union Solingen bis hin zu Bayer Leverkusen oder Schalke 04“

„Nein“, sage ich. „Ein vorletzter Satz mit Schalke 04 wäre ja noch okay, aber ein letzter …“ Wobei ich ehrlich gesagt rein gar nichts gegen Schalke 04 habe. Aber egal.

Wir kehren um und verlassen die Düssel-Quelle und spazieren zurück zum Parkplatz.

Auf dem Rückweg, mitten im Oberdüsseler Wald, als ich wieder mal fast mit dem Fuß im Schlamm stecken bleibe, denke ich: Eigentlich nur konsequent, wie das bei der Düssel abläuft. Wie wir heute gelernt haben, hat sie drei Quellen, und wie wir bereits wussten hat sie mit Brückerbach, Kittelbach sowie südlicher und nördlicher Düssel vier Arme, die in den Rhein münden. Mir fällt eine simple Lösung für den letzten Satz in diesem Blog ein, zumindest den letzten Satz der An-der-Düssel-Etappen auf dem Weg zur Quelle. Ich nehme einfach den ersten „Ab-Satz“, den ich am 12. August 2014 geschrieben habe. Unsere erste Etappe. Damals, als wir noch dachten, wir wären nach einem, maximal zwei Jahren durch mit dem Thema – bis wir mehr und mehr entdeckten, wie schön die Langsamkeit sein kann.

Wir wollten es schon immer machen, und nun beginnen wir am Ende, und das Ende ist unsichtbar und ein Bisschen trostlos – nur durch einige wellenförmig in den Asphalt der Rheinpromenade eingelassene Backsteine angedeutet. Blaue Backsteine!

„Schau mal, da vorne!“, sagt mein bester Freund P., der gerade aus Berlin zurück nach Düsseldorf gezogen ist, „da ist auch noch eine Inschrift.“

Wir lesen: „Mündung Südliche Düssel.“

Selbst, wenn man sich weit über das Rheinpromenadengeländer beugt: Kein Tropfen Düsselwasser zu sehen! Dabei ist es doch ein Fest, wenn Bäche in Flüsse münden und Flüsse in Ströme und Ströme ins Meer. Düssel und Rhein treffen sich heimlich, eine Vereinigung unter Ausschluss der Öffentlichkeit …

 

 

 

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