(#28) Der mysteriöse Koffer

in Düsseldorf/Natur

Wie wir ein Stück Düssel zwischen Eller und Vennhausen verpassen / Wie wir das Wort „Fluss-Allee“ erfinden / Und wie wir einen Schwimm-Koffer per Videobeweis festhalten.

Ein Parkplatz vor dem „Kleingartenverein an der Jägerstraße“: Gerade noch hat es sehr heftig geregnet. Jetzt dampft der Boden – und mein bester Freund P. und ich spazieren den kurz vor der Bahntrasse abzweigenden Fußweg entlang. Wenn Google Maps sich nicht täuscht, müssten wir in circa dreißig Metern auf die Düssel treffen.

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Chronistenpflicht: Zwischen dem Ende der vorherigen Etappe und dem Beginn unserer heutigen klafft eine Lücke von rund 100 Metern: Ein Teil unseres „Flüsschens“ durchquert ein Areal zwischen zwei spitz aufeinander zulaufenden Bahntrassen (siehe Karte weiter unten). Kurz darauf, am S-Bahnhof Eller, vereinigen sich die beiden Trassen. Vor ein paar Minuten sind wir vom Kamper Weg über den Bahndamm hinweg in die Ellerkirchstraße gefahren. Eine Sackgasse, die in einem Industriegebiet endet, während sich die Gesuchte irgendwo hinter den Gärten einiger weniger Privathäuser versteckt. Ähnlich wie zu Beginn unserer vorherigen Etappe: Kein Durchkommen. Düssel-Flanieren ohne Düssel.

Nun haben wir die Düssel wieder gefunden, überqueren eine Fußgängerbrücke aus Holz, machen einige Fotos.

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An beiden Uferseiten Kleigartenanlagen. Rechterhand öffnet sich eine Wiese. Darauf steht eine Art „halbes“ Häuschen, das als Unterstand dient. Zwei Typen, die rauchen und sich unterhalten.

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Wir spazieren den Pfad entlang, gelangen zum Eller Kamp, überqueren die Straße – und passieren das obligatorische Düssel-Schild.

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Ein Blick vom Brückengeländer flussaufwärts. Links: Einfamilienhäuser. Rechts: Hochhausdschungel. Dazwischen ein schmaler Grünstreifen und die Düssel: schnurgerade – und kein Bisschen renaturiert. Vennhausener Verhältnisse: “Old school”, aber irgendwie schön.

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Den Spazierweg entlang. Hellgelbe Einheitsbalkone mit Düssel-Blick. Eine sanfte Flussbiegung.

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„Gleich kommt der Kamper Weg“, sagt P. mit einem Blick auf Google Maps. Recht hat er. Festzuhalten: Das extrem-gelbe Geländer der Über-die-Düssel-Brücke.

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„Wer hier wohl die Farbe ausgesucht hat?“, frage ich, ohne eine Antwort zu erwarten.

„Progressive Kräfte im Amt“, antwortet P. – nicht ohne die Stimme auf Ironie-Modus zu schalten.

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Flussaufwärts öffnet sich nun ein weiterer, diesmal bestimmt 100 Meter breiter Grünstreifen mit einem Trampelpfad. Vor uns geht ein Mann mit seinem Hund spazieren. Wir folgen ihm in etwas Abstand.

Ein Blick zurück:

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Ein Blick nach vorn:

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„Ganz schön ländlich hier“, sagt P., während wir uns einer Fußgängerbrücke nähern, die den Grünstreifen mit einer Straße des Viertels verbindet.

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„Noch ein bis zwei Etappen, dann überqueren wir die Stadtgrenze“, sage ich.

„Erkrath wir kommen“, sagt P.

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Die Düssel schwingt sich in einen Bogen, links von ihr öffnet sich eine umzäunte Wiese (oder sagt man “Koppel”?), auf der wahrscheinlich Pferde, vielleicht sogar Kühe grasen. Wenn sie grasen, denn momentan ist die Wiese leer. Dahinter: Unspektakuläres Einfamilienhaus-Einerlei.

„Sagt man eigentlich auch bei Pferden, dass sie grasen?“, frage ich. „Oder nur bei Kühen?“

P. zuckt die Schultern, zeigt flussaufwärts – und fragt dann seinerseits: „Spricht man auch dann von einer Allee, wenn die Baumreihen nicht an beiden Seiten einer Straße oder eines Weges stehen, sondern an beiden Ufern eines Flusses?“

„Flussallee?“, frage ich.

„Düssel-Allee“, sagt P.

Ich googele auf meinem Smartphone: Eine Allee ist eine auf beiden Seiten von Bäumen begrenzte Straße oder Weg, zitiere ich Wikipedia.

„Ich gebe mal `Fluss-Allee´ ein“, sagt P. und tippt in sein iPhone. Kein Treffer.

„Lass uns Fluss-Allee als Wortschöpfung anmelden“, sage ich.

„Und wo macht man das?“, fragt P.

„Über unser Blog“, sage ich. „Wenn irgendjemand irgendwann irgendwo auf der Welt FLUSS-ALLEE googelt, dann landet er auf Düssel-Flaneur.“

„Das sind ja fast schon historische Dimensionen, die wir hier heute erleben“, sagt P. “Die Geburt einer neuen Begrifflichkeit.”

„Übrigens“, sage ich mit einem Blick auf mein Smartpone: Pferde grasen hat 15.500 Google-Treffer … und Kühe grasen 21.700.“

„Spinner!“, sagt P. „Dann gib am besten auch noch Menschen grasen in die Suchmaske ein!“

„Okay“, sage ich und tippe. … „Menschen grasen wohl eher selten – nur 142 Treffer.“

Inzwischen haben wir die Düssel-Biegung hinter uns gelassen und die Fluss-Alle erreicht. Während uns von der anderen Düssel-Seite der offizielle Spazierweg anschaut, begnügen wir uns mit einem Trampelpfad, der an den Gärten der angrenzenden Einfamilienhaus-Grundstücke entlang führt.

Ein Blick zurück:

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Ein Blick nach vorne:

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Und dann, kurz bevor wir eine weitere Fußgängerbrücke erreichen, tippt mir P. auf die Schulter. „Schau mal! Da vorne!“ Er zeigt auf etwas Rechteckiges, das in etwa zwanzig Metern Entfernung auf uns zugeschwommen kommt.

Ich zücke mein Smartphone und filme. Ein Koffer. Offenbar aus Metall, etwas größer als die übliche Handgepäckgröße, mit schwarzen Rändern. Ich meine Rollen zu erkennen. Langsam – nein, gar nicht sooo langsam – zieht er vorbei.

„Erster Detektiv, was war das denn?“, fragt P., als ich den Filmmodus beende. Wir schauen dem langsam kleiner werdenden Koffer hinterher.

„Zweiter Detektiv, keine Ahnung“, sage ich. „Was sagt der dritte Detektiv dazu?“

„Ach, der ist doch schon in Rente“, sagt P. „Komme, lass uns weiter gehen, noch ein paar Hundert Meter – und dann zurück.“

An der Fußgängerbrücke wechseln wir auf den offiziellen Weg am anderen Ufer. Vorbei an einer Bank. Hinein in eine weitere lange Kurve. Rechts schaut ein 70er-Jahre-Kirchturm durch die Baumgipfel. Links strebt die Düssel auf eine Unterführung zu.

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„Sandträgerweg“, sagt P. mit einem Blick auf Google Maps. „Hier kehren wir um, weiter schaffen wir es heute nicht.“

Auf die Betonnmauer der Unterführung hat jemand mit Kreide den Slogan „Gegen Nazis“ geschrieben.

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„Nur mit so klaren Botschaften an so entscheidenden Punkten kann man den Faschismus besiegen“, sagt P. – und grinst. „Antifa Vennhausen! Mit Kinderkreide gegen rechts. Besser würden wir Werber es auch nicht hinbekommen.“

Ein Blick auf die Uhr: Wir liegen gut in der Zeit. Ein Blick flussabwärts: Vor uns führt einer dieser Versorgungswege die Böschung hinunter, von Gras halb überwachsen. Irgendjemand könnte hier aus welchen Grund auch immer mit einem passenden Fahrzeug fast bis zum Düssel-Ufer hinunterfahren. Und genau dort unten liegt etwas am Düssel-Rand im flachen Wasser, das uns ins Auge springt. Wir nähern uns – und erblicken eine Art Necessaire-Tasche. Braunes Kunstleder, relativ modernes Design, mit einem ocker-weißen Streifen in der Mitte.

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Ich blicke P. fragend an: „Ob die vorher in dem mysteriösen Koffer war?“

„Keine Ahnung, erster Detektiv“, sagt P. „Kannst das Ding ja mal rausfischen.“

Mit spitzen Fingern ziehe ich die Tasche zu mit heran – und obwohl ich kein Hygiene-Fetischist bin, ekele ich mich dabei. Dann liegt sie vor uns auf dem schlammigen Uferboden. Ich öffne den Reißverschluss. Wir sehen: Einen Edding, einen Textmarker von Office Line, und in der Seitentasche eine ovale Box mit der Aufschrift „Baytown Wharf Cottage“ der Marke Fossil. Außerdem undefinierbare, da vollgesogene Textilien.

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Ich öffne die Fossil-Box. Der Inhalt: Dutzende Pin-Nadeln in verschiedenen Größen und Farben.

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„Was sagt uns das, zweiter Detektiv?“, frage ich.

„Riecht jedenfalls nicht gut“, sagt P. „Wasch dir mal lieber die Hände!“

„Und was machen wir jetzt damit?“

„Liegen lassen natürlich! Oder willst du das Teil deiner Frau als Geschenk mitbringen?“

Wir spazieren zurück zum Startpunkt der heutigen Etappe.

Ein paar Hundert Meter flussabwärts, auf Höhe des Kamper Wegs, treffen wir einen alten Bekannten: Der Koffer schwimmt vorbei. Es beginnt gerade wieder zu regnen. Ich filme. Das Bild ist total verwackelt und unscharf. Dogma in Düsseldorf-Vennhausen.

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Wir verlieren den Koffer aus den Augen, können die Düssel durch das hohe Gras an der Uferböschung kaum sehen. Doch als wir den Eller Kamp erreichen und einen letzten Blick über das Brückengeländer werfen, kommt uns der Koffer schon wieder entgegen.

„Ej, der verfolgt uns“, sagt mein bester Freund P. und filmt die Szene mit seinem iPhone.

„Wo der wohl hängen bleibt“, sage ich.

„Was da wohl drin ist“, sagt P.

„Was da wohl drin war“, sage ich.

„Das Necessaire?“, vermutet P.

„Vielleicht“, sage ich.

„Kannst du ja beim Einschlafen von träumen“, schlägt P. vor.

„Die drei ??? und der mysteriöse Düssel-Koffer“, konstatiere ich. „Zu klärende Fragen: Warum verstaut man mehrere Eddings und ganz viele Pinnwand-Pins in seinem Necessaire? Wollte da einer heimlich irgendetwas irgendwohin pinnen? Und: Warum schwimmt ein Koffer nachmittags mitten durch Vennhausen? Ist er geklaut worden? Haben die beiden Fälle etwas miteinander zu tun?“

„Klingst jetzt echt wie Justus Klugscheißer Jonas“, sagt P.

„Danke“, sage ich – und in diesem Moment verschwindet der mysteriöse Koffer in der Unterführung. Auf nie mehr Wiedersehen …

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