(#26) Elleraner Sensationen

in Düsseldorf/Natur

Warum Düssel-Flaneure spezielle Uferbefugnisse haben / Wie man an der Düssel verhexte „Du bist hier doch nicht in Afrika“-Parolen diskutiert / Und was in Eller alles „sensationell“ ist.

Mein bester Freund P. kommt direkt zur Sache. Als wir auf einem schmalen, von der Karlsruher Straße in Düsseldorf-Eller abgehenden Fußweg Richtung Düssel spazieren, beantwortet er die Frage, die gegen Ende unsere letzten Etappe offen geblieben ist: Was ist ein Ressourcen-Etikettierungs Dilemma?

P., der aus einer Familie mit hoher Sozialpädagogendichte stammt, versucht sich kurz zu fassen. Gar nicht so einfach: Der Begriff stehe dafür, dass bei immer mehr Schülern ein sogenannter sonderpädagogischer Förderbedarf attestiert werde. Was bedeute: „Je mehr Schüler einer Regelschule offiziell Förderbedarf haben, desto mehr Gelder und Pädagogen bekommt diese zugewiesen.“

„Mit anderen Worten …“, beginne ich, „… wenn eine Schule all ihre Schüler als förderungsbedürftig etikettiert, bekommt sie 1A-Ressourcen. Also am besten ein Gymnasium als Förderschule deklarieren, um Ausstattung und Lehrkörper zu renovieren?“

„So ungefähr“, sagt P. „Und genau deswegen heißt es Ressourcen-Etikettierungs-Dilemma.“

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„Gibt’s solche bürokratischen Monsterwörter eigentlich auch in anderen Sprachen?“, frage ich – ohne eine Antwort zu erwarten. Wir erreichen die Stelle, an der die von einer hölzernen Fußgängerbrücke überquerte Düssel den von S-Bahnen und ICE´s befahrenen Bahndamm unterquert.

Wenn wir dem offiziellen Spazierweg weiter folgen, landen wir bei Schloss Eller. Doch unser Weg zweigt ab. Vorbestimmt, nicht offiziell.

Um ein Foto zu machen, klettern wir vorsichtig runter ans linke Ufer (Ihr wisst schon: Wir schreiben auf diesem Blog in der Stromaufwärts Perspektive). Vorsichtig deshalb, weil heute schon wieder einer dieser Dauernieselregentage mit aufgeweichtem Boden ist. Ganz schön ländlich hier. Grüne Wiese, Zäune, Düssel-Plätschern. Fehlen eigentlich nur noch muhende Kühe, um das Bild zu vervollständigen. Sind aber keine da. „Schade“, sage ich. „Wäre doch ein schöner Titel: Die letzten Kühe von Eller. Wäre ich ein Singer-Songwriter, würde ich das passende Lied komponieren.“

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Eller war einmal ein Dorf. Hier zwischen der Bahntrasse, die Züge Richtung Köln, und der vierspurigen Heidelberger Straße, die Blechlawinen Richtung A46 lenkt, merkt man es noch. So als hätte die Großstadt vergessen, ihre Fühler flächendeckend auszustrecken und mittendrin einen grünen Flecken  freigelassen.

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Wir überqueren die Holzbrücke. Rechts von der Düssel verläuft ein schmaler Weg. Da müssen wir hin!

„Besonders spannend ist dieses Förderbedarfsthema ja nicht gerade“, sage ich. „Das kann ich unmöglich im Blog wiedergeben. Interessiert doch keinen! Und hat nichts mit der Düssel zu tun.“

„Dann lass es weg“, sagt P. „Hatte die ganze Politikscheiße von letzten Mal denn etwas mit der Düssel zu tun. Haben wir überhaupt diesen Anspruch?“

Ich zucke mit den Schultern. Wir stehen vor einem Schild mit der Aufschrift: „Zutritt für Unbefugte verboten.“

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„Als Düssel-Flaneure haben wir eindeutig die Befugnis, hier entlang zu spazieren“, sagt P. und grinst sein betont überlegenes P.-Grinsen.

Der Weg ist kein Weg, sondern ein matschiger Trampelpfad. Immer noch ländlich: Auf der anderen Düssel-Seite sehen wir einen Pferdehof. Wir nähern uns der Heidelberger Straße, auf der ich im Laufe der Jahre schon Dutzende Male das Flüsschen, das unserer Stadt ihren Namen gab, im Auto überquert habe, ohne mir dessen bewusst gewesen zu sein. Nicht mehr ganz so ländlich: Hinter der Düssel-Unterführung gelbleuchtet das Riesenlogo einer Shell-Tankstelle.

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Wir folgen dem Trampelpfad, unterqueren die Heidelberger, vorbei an diversen Graffitis.

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„Worüber würdest Du denn lieber reden“, fragt P.

„Hmm“, mache ich. Und bevor mir etwas einfällt, stehen wir vor einem Strauch, der fast bis zum Wasser reicht, schräg gegenüber der Tankstelle. Und der Pfad ist jetzt allenfalls noch ein angedeuteter Pfad. „Ich glaube, wir sollten hier besser umkehren und auf der anderen Uferseite weiterspazieren.“

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Gesagt, getan. Wir folgen unserem Flüsschen vorbei an einem Düssel-Schild auf der Heidelberger, vorbei an der Shelltanke, dann auf dem Gehweg entlang der Karlsruher Straße.

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Auf unserer Straßenseite: Ein Geländer, hinter dem die Düssel verläuft. Auf der anderen Straßenseite: Street Art-verzierte Garagen. 50 Meter vor uns: wieder eines der (relativ) neuen Düssel-Schilder. Schilder, die immer ein wenig verzweifelt wirken, als wollten sie sagen: Hallo, ich bin´s. Der Fluss, den jeder kennt, aber keiner besucht. Nehmt mich wahr!

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P. spricht mich erneut an: „Und?“

„Und was?“

„Worüber willst Du sprechen?“

„Bibi“, sage ich.

„Bibi?“, fragt P.

„Blocksberg“, ergänze ich.

P. guckt mich irritiert an

„Nun“, erkläre ich, „mein Nachwuchs hat gestern eine Folge Bibi Blocksberg gucken dürfen.“

„Wow, wie spannend!“, sagt P. süffisant.

Wir bleiben stehen und schauen über das Düssel-Geländer. Über der Düssel: diverse moosbewachsene Betonstreben. Ob sie eine Funktion haben, weiß ich nicht. Schön sind sie jedenfalls nicht, dafür symmetrisch und irgendwie interessant.

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Die Düssel strömt hier aus einem Tunnel, der bis zur anderen Straßenseite reicht. Auch dort ist wieder das merkwürdige Streben-Kunstwerk über den Fluss „gespannt“, direkt dahinter der nächste Tunnel unterhalb der Gumbertstraße. Auf der fährt gerade eine Straßenbahn vorbei.

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Wir bleiben vom dem Schaufenster des Düssel-Cafés stehen und lesen die Aufschrift: „Kaffee und Kuchen in gemütlicher Atmosphäre“. Derweil erzähle ich P. von meinem Bibi Blocksberg-Erlebnis: „Mein Sohn ist von seiner Cousine mit dem Bibi Blocksberg-Virus infiziert worden. Gestern durfte er wieder eine Folge gucken. Während ich parallel die Wohnung aufräume, höre ich plötzlich mit halbem Ohr, wie die kleine Hexe Bibi eine Ansage macht: `Hej, du bist hier doch nicht in Afrika, benimm dich!´“

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P. runzelt die Stirn, nickt Richtung Gumbertstraße. Düssel-Flanier-Schluss für heute. Wie bei der letzten Eller-Etappe möchten wir auch diesmal durchs Viertel zu den Autos zurücklaufen. Dann sagt er: „Bibi als Superheldin, die gegen feindliche Flüchtlinge kämpft? In deinem linksgrünversifften Wohnzimmer? Oder was?“ Seine Augen grinsen.

Ich fahre fort: „Nee, Bibi hat zum Glück nur mit einer Giraffe gesprochen. Offensichtlich hat sie die kurz zuvor selbst herbeigehext. Weil sie soooo gerne ein eigenes Haustier haben wollte. Dumm gelaufen für Bibi, denn die Giraffe ist nicht kooperativ und gerade dabei, das halbe Hexenhaus zu demolieren. Dagegen helfen nicht mal magische Kräfte. Bis die Hexenmutter auftaucht und das Tier mit einem HexHex souverän verschwinden lässt. Und dann erklärt Sie Bibi etwas extrem Wichtiges …“

Ich mache eine Pause. Wir erreichen die Ecke Gumbert/Alt-Eller. Ein Altbau fällt besonders ins Auge: Unten Kebap-Haus, oben Türmchen drauf.

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„Na sag schon!“ P.´s Stimme schaltet auf Ironiemodus: „Ich kanns kaum erwarten.“

Ich gebe ihm die Antwort: „Giraffen weghexen kann man erst ab 15!“

P. lacht nicht, aber eigentlich lacht er ohnehin nur über seine eigenen Scherze. Bei einem Ironie-Fetischisten wie ihm muss man es wahrscheinlich sogar als Kompliment nehmen, wenn er nicht lacht. Mein bester Freund P. ist ein Oft-Grinser und Selten-Lacher.

Wir biegen Richtung Alt-Eller ab. „Bei meinen Sohn ist aber etwas ganz anderes hängen geblieben“, sage ich. „SEN-SA-TIO-NELL!“ Ich ziehe das Wort in die Länge. „Das sagt er seitdem bestimmt 30 Mal am Tag.“

Karla Kolumna, die rasende Reporterin?“

„Mann, deine Allgemeinbildung ist echt nicht zu schlagen.“

„Hörspieljunkie eben! Ich war in den frühen 80ern auf Justus, Peter und Bob und meine kleine Schwester auf Bibi und Benjamin.“

Wir folgen der Straße Alt-Eller zu unseren Autos. Vorbei an einem niedrigen Altbau, in dessen Hinterhof ein Gebrauchtmöbelcenter residiert. P´s Kommentar: „Sensationell!

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Vorbei an einem zwischen Altbau und Neubau eingequetschem „Knusperhäuschen“. P.: „Sensationell!“.

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Vorbei an einer Altbau-Villa mit Türmchen. P.: „Sensationell!

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Vorbei am katholischen Pfarrhaus, dessen Geschichte man auf einem Hinweisschild nachlesen kann, inklusive eine Karte von 1833, auf der auch der „Düsselbach“ eingezeichnet ist. Dazu eine Insiderinfo: Früher, als die Düssel noch jünger und Eller noch nicht so alt war, hieß diese Straße nicht Alt-Eller, sondern Düsselstraße. P.: „Sensationell!

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Vorbei an einem weiteren „tiefergelegten“ – diesmal knallroten – Häuschen, das zwischen zwei weitaus höheren eingeklemmt ist. P.: „Sensationell!

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Und schließlich vorbei an der Ampel Bernburger Straße, mit Blick auf eine blass-orange Hausseite: zwei einsame Fenster, die wie Augen, und zwei kleine Luken, die wie Augenbrauen aussehen. P.: „Sensationell!“

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Etappenende. „So, Spaß beiseite! Ich brauche jetzt mal in einer wirklich ernsthaften Angelegenheit deine Meinung als Freund.“ Ich fixiere P., gucke streng und bedeutungsvoll: „Wie fandest Du eigentlich die Häuser, an denen wir eben vorbeispaziert sind?“

P. grinst, ich grinse. Wortlos steigen wir in unsere Autos und fahren nach Hause. Der Alltag wartet.

Sensationell!

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