Wie in Erkrath mit Ralf Neuhäuser zum ersten Mal ein Gast-Flaneur mit von der Partie ist / Was es mit dem „Luft- und Freibad an der Düssel“ aus den 1920er Jahren auf sich hat / Und warum Smartphones für Flaneure ein Schweizer Messer sein können.
Mein bester Freund P. ist krank – zum ersten Mal seit zwei Jahren und circa 25 Kilometern. Nein, das stimmt atürlich nicht. P. war durchaus öfter krank, aber wenn das so war, haben wir das Düssel-Flanieren einfach ausfallen lassen. Und aus eben diesem Grund haben wir bisher zwangsläufig alle Etappen gemeinsam bestritten: von der Mündung der Südlichen Düssel aus weiter durch Bilk, Wersten, Eller, Vennhausen und Gerresheim – bis zum Endpunkt der vergangenen Etappe. Und genau dort stehe ich in diesem Moment: auf der Düsselbrücke an der Bismarckstraße in Erkrath – ohne P.
Allein bin ich dennoch nicht: An diesem strahlend sonnigen Wintermorgen wird mich Ralf Neuhäuser begleiten – mit der „offiziellen Genehmigung“ von P. („Wir müssen schließlich endlich mal weiterkommen mit dem Blog!“). Ralf kennt fast den gesamten Verlauf unseres Flüsschens bis zur Quelle. Ein Düssel-Spezialist, sozusagen. In der digitalen Szene Düsseldorfs ist er gut vernetzt. Der eine oder andere wird schon hier oder dort von ihm gelesen haben. Er arbeitet als freiberuflicher Web-Entwickler sowie als „Botschafter“ und Community-Manager beim Factory Campus, einem Coworking Space in Düsseldorf-Lierenfeld. Als Ausgleich zum Job geht er gerne spazieren. Durch die Stadt. Durchs Umland. Aber auch mal auf Reisen.
Wobei man „spazieren“ besser in Anführungsstriche setzen sollte bei jemanden, der im Urlaub schon mal 80 Kilometer in fünf Tagen hinter sich bringt. Ein klassischer Flaneur ist Ralf nicht, doch mit der traditionellen, in Vereinen organisierten Wanderszene hat er auch nicht viel am Hut. Eigentlich. Sogar zu Ikea ist er schon gewandert. Motto: Freestyle. So wie es gerade passt. Trotzdem: „Seit 2015 bin ich Mitglied in der Abteilung Serkenrode des Sauerländischen Gebirgsvereins. Die hat nämlich mein Opa 1935 gegründet, und auch mein Vater war dort aktiv.“ Ralf führt die Familientradition (nicht nur) als Webmaster der Vereinswebsite fort – und wer wissen will, wo er im Sauerland gerne wandert, kann das hier nachlesen.
Zurück zu unserem Flüsschen: „Meistens folge ich der Düssel flussabwärts“, erzählt Ralf, als wir losgehen. Kommando heute, gemäß dem Konzept
dieses Blogs: flussaufwärts. Unser Etappenziel: die Brücke, auf der die A3 die Düssel überquert. Allerdings: Direkt am Düsselufer entlang geht es von der Bismarckstraße aus nicht weiter. Abgesperrtes „Niemandsland“, vermutlich Neubaugebiet. Wir folgen der Bismarckstraße linkerhand, entlang einer Neubausiedlung. Dann biegen wir rechts ab, in der Annahme dort bald wieder auf unser Flüsschen zu treffen.
Links von uns: ein weitläufiger Parkplatz vor einer imposanten Gründerzeitvilla. Vor uns: Mehrere Backsteingebäude, offenbar restauriert.
Sieht „kreativ“ aus, war bestimmt mal eine Fabrik oder so was. Tatsächlich: Ein paar Meter weiter, auf einem Schild mit Standortplan lesen wir, wo wir uns befinden: „Alte Papierfabrik“ steht dort. Und das Gründerzeithaus hat auch einen Namen: „Weiße Villa“ (vermutlich war sie früher weißer).
Die Mieter-Klientel: Eine Agentur, ein Restaurant, ein Showroom. Und so weiter. Die üblichen „Verdächtigen“, die von solchen Orten angezogen werden – egal ob in Erkrath oder in Berlin. Oder hat schon mal einer ein Nagelstudio, einen Handyladen oder eine Filiale von Netto oder Beate Uhse in so einem Ambiente entdeckt?
Das alles hätte auch dem Industrieambiente-Fan P. gefallen. Dumm gelaufen … Muss er sich alleine anschauen. Wenn er gesund ist und Zeit hat. Also wahrscheinlich, wenn seine (Grundschul)Kinder irgendwann Abitur machen …
Wir lassen die alten Backsteingebäude links liegen und nähern uns einer ziemlich neu aussehenden Fußgängerbrücke. Die Begrenzungsgeländer blitzen silbern in der Sonne, und vielleicht sollte man an dieser Stelle auch mal kurz den Zweck der Brücke erwähnen: Sie verläuft nämlich – Hurra! – über unser Flüsschen, das nach einem langgezogenen Bogen hier wieder in unser Blickfeld gerät.
Ein paar Fotos, ein kurzes Filmchen. Weiter …
Auf der anderen Flussseite wird fleißig gebaut. Oder besser gesagt: kernsaniert. Aus Düssel-Flaneur-Sicht: Bestlage! Irgendwann einmal werden hier die Menschen aus ihren Büros oder ihren Wohnungen direkt auf den bekanntesten unbekannten Fluss Deutschlands blicken. Rein theoretisch könnten Sie sogar aus den eigenen vier Wändern heraus die Angel auswerfen.
Nach der Düssel-Querung spazieren wir auf einem weiteren Parkplatz direkt am Flussufer entlang.
Beim Blick auf die Alte Papierfabrik tauchen unsere Umrisse als Schatten auf der anderen Flusseite auf:
Kurz darauf stoßen wir am Ufer auf einen ausrangierten Korbstuhl. Ralf Neuhäuser nimmt Platz und erzählt über sein Verhältnis zur Düssel. In Münster geboren, in Ostwestfalen aufgewachsen, lebt er seit 26 Jahren in Düsseldorf. Erst arbeitete er als Goldschmied, später studierte er in Krefeld
Produkt- und Objektdesign. Die Bilanz: „Ich bin jetzt schon länger Rheinländer als ich irgend etwas anderes war.“ Allerdings habe er sich Anfang der 1990er nicht wirklich für die Düssel interessiert, erzählt er. „Damals waren andere Aspekte der Stadt wichtiger für mich.“
In seiner Freizeit ist Ralf gerne mit seiner Partnerin unterwegs, oft aber auch alleine. „An manchen Tagen kommen da schon mal 15 bis 20 Kilometer zusammen, und am schönsten ist es, wenn sich beim Wandern dieses Flow-Gefühl einstellt, man quasi mit der Umgebung verschmilzt.“ In der Natur
funktioniere das natürlich besser als mitten in Bilk oder Unterbilk. Während mein bester Freund P. und ich im Laufe dieses Blogs immer wieder mal hinterfragt haben (warum eigentlich?!), ob Smartphones für Flaneure – im wahrsten Sinne des Wortes – „tragbar“ sind oder zu stark von der Umgebung ablenken, sagt Ralf ganz pragmatisch: „Ich nutze mein iPhone als Multitool, als eine Art modernes Schweizer Messer, das mir bei der Planung und Dokumentation meiner Touren hilft. So muss ich weder eine Kamera mitnehmen, noch eine Taschenlampe oder eine Wanderkarte. Ich teile meine Erlebnisse im Netz mit anderen und profitiere von dem, was andere User geteilt haben.“ Zu dieser Philosophie passt der Name von Ralfs Profilen bei facebook und Komoot: App-Wanderer.
Aufstehen, weiterflanieren: Die Düssel unterquert die Neanderstraße, wir überqueren sie. Zu klärende Frage: Folgen wir ihr am rechten Ufer, am Rande der Stadthalle Erkrath, oder am linken Ufer, am Rande eines Mehrfammilienhauskomplexes? Wir entscheiden uns für die zweite Variante und landen schließlich auf einem Schulhof, so dass wir gezwungen sind, über eine Fußgängerbrücke doch wieder auf die Stadthallen-Seite überzuwechseln.
Ein kurzes Stück „normaler“ Spazierweg mit Blick aufs Gymnasium, dann erreichen wir die Bachstraße, und woher die ihren Namen hat, dürfte ja wohl klar sein. Erneuter Uferwechsel, diesmal über die betongraue Bachstraßenbrücke …
Die einzige Möglichkeit, in Wassernähe zu bleiben: Ein Trampelpfad. Ralf kündigt an, dass uns gleich ein kleines Highlight erwarte, das er bereits bei einer seiner vielen Düssel-Touren entdeckt hat.
Kurz darauf stehen wir vor einem Tümpel, etwa fünfzehn Quadratmeter groß, nur fünf Meter vom Fluss entfernt. Auf einem von den Ercroder Jonges gestalteten Schild ist zu lesen: „Luft- und Freibad an der Düssel.“ Unter der Inschrift ist ein Häuschen zu sehen. Um was genau es sich handelt, steht wiederum ganz unten auf dem Schild: „Clubhaus, 1930.“
Ich nehme mein Schweizer Messer, äh Smartphone, zur Hand – und finde einen WZ-Artikel, der erklärt, was es mit der Gedenktafel auf sich hat: Sie erinnert an ein Freibad, das es in den 1920er Jahren an dieser Stelle tatsächlich gegeben hat. Der Artikel dreht sich aber in erster Linie um ein anderes spannendes Thema: Einen ins Auge gefassten, aber bis jetzt nicht realisierten Wanderweg durch Erkrath entlang der Düssel.
Zitat: „(…) Die Erkrather haben das Vorhaben allerdings nicht vergessen. In einem Internetforum tauschen sie sehnsuchtsvolle Botschaften aus, träumen von einem „gepflegten Uferpromenadenweg mit Bänken und Beleuchtung, der Jung und Alt als innerstädtisches Naherholungsgebiet einlädt“, bedauern das stiefkindliche, teils völlig zugewucherte und unerreichbare Dasein der von Ost nach West durch Alt-Erkrath fließenden Düssel als nicht ausgespielten Trumpf, bekennen lokalpatriotisch „wir sind das Dorf an der Düssel“. (…) Ein Promenadenweg wäre doch eine perfekte Schiene, um Wanderer auf dem Weg ins Neandertal in die Stadt zu holen, denn Tourismus sei auch für kleinere Städte wie Erkrath ein wichtiges Thema, sagt Herrmann, und betont: „Den Weg zu machen ist absolut möglich“. (…)“
Sofort ploppt eine Frage in meinem Kopf auf: Warum wird so was in Erkrath diskutiert, und in Düsseldorf nicht? Oder ist es bereits diskutiert worden und uns Düssel-Flaneuren entgangen? Jedenfalls: Eine „offizielle“ Spazierroute entlang des Düssel-Ufers – das wär doch was! Am besten dort, wo es sich anbietet, mit Hinweistafeln zur Geschichte der Stadt und ihres Flüsschens bzw. zu Gebäuden, Straßen, Vierteln, denen die Düssel auf ihrem Weg „begegnet.“ Eine etwas andere Citytour, jenseits der typischen Touristenrouten zwischen Kö, Hofgarten, Schadowstraße, Altstadt, Rheinufer und Medienhafen. Wobei: Wenn schon, dann könnte man so eine Idee auch direkt bis zur Quelle im Bergischen Land verwirklichen. Eine Art „Düssel-Erlebnisweg“. Ähnliche Beispiele gibt es in der Wander- und Radweg-Szene zur Genüge, zum Beispiel den „Erlebnisweg Rheinschiene“ zwischen Bonn und Duisburg. Tja, solche großspurigen Gedanken kommen einem auf einem winzigen Trampelpfad in Erkrath … 😉
Weiter!
Der Erkrather Trampelpfad wirft eine Kurve – und mündet auf einer weiten Ebene. Mit direktem Blick auf die Autobahnbrücke, mit deren Hilfe die A3 die Düssel überquert.
Schöne Ecke! Eine hölzerne Fußgängerbrücke führt ans andere Ufer, wo eine Sackgasse endet. Noch ein paar Fotos: Die auf einem Hügel gelegene S-Bahn-Station „Nord Bf“. Jägerzaunambiente am Düsselufer. Fernblick mit Autobahnbrückenromantik.
Dazu ein kleines Filmchen:
Ralf Neuhäuser gerät ins Schwärmen, während wir über die Bachstraße den Rückweg zum Auto antreten.
Vorbei an mehr oder weniger sehenswerter Erkrather Architektur und behördlich abgesegnter Stromkasten-Streetart: „Jenseits der Autobahnbrücke wird es landschaftlich total idyllisch. Ein Traum!“ Zwischen Neandertal und Quelle hat Ralf fast den gesamten Düssel-Verlauf bewandert, allerdings nicht immer so stur am Ufer entlang, wie es sich dieses Blog zur Aufgabe gemacht hat. Sein Favorit: „Die Düssel in und um Haan-Gruiten. Ein wunderschöner Ortskern mit viel Fachwerk und Schiefer.“
Am Ende dieser „Geschichte“ steigen der (momentan) gesunde der beiden Düssel-Flaneure und der App-Wanderer ins Auto, verlassen Erkrath und kehren in ihren Düsseldorfer Alltag zurück.
Das Neandertal wartet schon …