Interview-Spaziergang: Mit Richard Gleim an der Düssel

in Düsseldorf/Interviews/Natur/Popkultur

In Düsseldorf kennt man Richard Gleim als „Hausfotograf“ der örtlichen Punk- und New Wave-Szene der späten 1970er und frühen 1980er. Vor Kurzem waren einige seiner Werke unter dem Titel „ZK und die frühen Toten Hosen“  in einer Ausstellung zu sehen – mit großem Medienecho. Das Blog Düssel-Flaneur zeigt Gleim von einer ganz anderen Seite: Als Botanik-Spezialist zwischen Nördlicher Düssel und Kittelbach.

An der Heinrichstraße, auf der Trennlinie zwischen den Vierteln Düsseltal und Grafenberg, teilt sich die Nördliche Düssel in zwei Arme. Der eine zweigt scharf nach links ab (heute ausnahmsweise mal stromabwärts gesehen), der andere fließt schnurgerade weiter, nun als Kittelbach firmierend Richtung Norden. Von eben diesem Spaltwerk war vor einigen Wochen auf der Facebook-Seite zu diesem Blog ein kurzer Video-Clip zu sehen. Darunter fand sich ein beeindruckender Kommentar:

„Dort kenne ich jeden Stachelditz, jeden Blutsauger, jedes Moderlieschen, jedes Veilchen, jeden Aruncus, jede Linde, alle Pappeln, jede Platterbse, jeden Grashalm, jede Ente, jede Ratte, jeden Fischreiher und jede tote Katze. Und den Geruch des Wassers zu jeder Jahreszeit. Ja, auch die knorrige Weißbuche ein paar Schritte zurück und den Feldahorn an der Brücke der Graf-Recke-Straße.“

Grund genug sich mit Richard Gleim, dem Kommentar-Urheber, an Ort und Stelle zu verabreden. Auf der Brücke an der Ecke Heinrichstraße/Graf-Recke-Straße. Genau vor dem erwähnten Feldahorn. Zu einem An-der-Düssel-Spaziergang.

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In der Öffentlichkeit hat sich der heute 77-Jährige unter dem Namen “ar/gee Gleim” (englisches Kürzel seiner Initialen) als Dokumentar der Punk-Szene rund um den legendären Ratinger Hof bundesweit einen Namen gemacht. Was viele nicht wissen: Vor seiner Fotografen-Karriere hat er lange Zeit als Gärtner gearbeitet, ist dementsprechend ein Baum- und Pflanzenkenner.

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Gleim, mit dem Linienbus von „seinem“ aktuellem Viertel Pempelfort aus angereist, hat (natürlich!) eine Kamera dabei – und erzählt:

„Ich interessiere ich ja besonders für die Pflanzen, die hier wild vorkommen. So ein Feldahorn wie der vor uns ist eigentlich nichts Besonderes. Aber in so einer prachtvollen Größe und mehrstämmig findet man ihn in der Stadt extrem selten. Das ist eine Nachkriegsaussaat, der hat sich also selbst diese Stelle ausgesucht. Ich beobachte ihn schon seit meiner Kindheit. Er ist am Düssel-Ufer so gewachsen, wie er eben auch in der freien Natur vorkommt. Normalerweise würde ein Feldahorn im urbanen Raum von Stadtmitarbeitern beschnitten, und dann wäre hier nur einstämmiges Bäumchen übriggeblieben. Aber dieser spielt in einer anderen Liga. Wenn er sich im Herbst färbt dann wirkt das, als brenne neben der Düssel eine gelbe Flamme.“

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Richard Gleim berichtet von seiner Düssel-Kindheit. Im Hintergrund rauscht der Verkehr an der viel befahrenen Kreuzung vorbei.

„Ich bin hier in der Ecke groß geworden, in den 1940er und 1950er Jahren, habe etwa 20 Jahre da hinten (zeigt auf den nördlichen Teil der Heinrichstraße) gewohnt. Und natürlich waren in meinen Kindertagen Düssel und Kittelbach und ihre Umgebung unser Spielplatz. Ich war auf einer Grundschule an der Grafenberger Allee, und nach dem Unterricht hat unsere Bande sich meistens entlang des Mittelstreifens der Heinrichstraße rumgetrieben. Einmal – ich war sieben oder acht – war ich genau an der Stelle, wo wir uns jetzt gerade unterhalten, mit einem Freund am Ufer unterwegs und bin ins Wasser gefallen. Im November! Das war so kalt, das vergisst man nicht.“

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Der Mittelstreifen zwischen den jeweils zweispurig verlaufenden Fahrtrichtungen der Heinrichstraße ist circa 30 Meter breit und wird an beiden Ufern von einem Fußgängerweg gesäumt. Der Beginn eines sich über rund einen Kilometer hinziehenden, schmalen Naturstreifens, die Düssel bzw. der Kittelbach in der Mitte. Während wir langsam Richtung Spaltwerk spazieren, hält Richard Gleim inne, zeigt mit seinem Geh-Stock auf den unteren Rand der Düssel-Böschung:

„Schau mal da unten, die blauen Blüten! Das ist Beinwell, kannste googeln! Solche Pflanzen kommen hier wild vor. Wenn die Stadt nicht dauernd irgendwelche Pflanzenmäher einsetzen würde, wären die Uferränder noch viel bunter …“

Schon dreißig Sekunden später macht Richard Gleim wieder eine botanische Entdeckung, diesmal direkt unterhalb des Zauns, der den Gehweg von der Düssel-Böschung trennt. Er zeigt auf eine grüne Pflanze mit weißen Blüten, die den Laien auf den ersten Blick ein wenig an eine Brennessel erinnert. Und siehe da, es scheint zumindest eine gewisse Verwandtschaft zu bestehen:

„Das ist eine Taubnessel!“

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Noch ein paar Meter weiter der nächste „Treffer“: Diesmal etwas höher wachsend, mindestens 60 Zentimeter.

Gleim: „Und hier haben wir den Wilden Kerbel.

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Drei Pflanzenbestimmungen auf nur 15 Metern! Auf der Hand liegende Frage: Woher kommt diese Begeisterung, dieses Fachwissen?

„Ich stamme aus einer Kaufmannsfamilie, und dann bin ich eben auch erst mal Kaufmann geworden nach der Schule, was mir aber eigentlich absolut gestunken hat. Anschließend habe ich Gärtner gelernt. Das passte besser zu mir, denn ich hatte mich schon immer für Ethnologie interessiert. Als Kind wollte ich sogar Archäologe werden, war von grundsätzlichen Fragen durchdrungen: Wo kommen wir her? Wie hat alles angefangen? Und so weiter. Ich bin ja 1941 geboren, mitten im Krieg. Kurz vor Kriegsende wurden wir ausgebombt und sind dann aufs Land ausgewichen. Dort habe ich dann einen prägenden Teil meiner Kindheit verbracht. Vom Ende des dritten Lebensjahres bis zum siebten. Diese Zeit möchte ich nicht missen. Mit meiner Mutter lebte ich in einem Tal bei Haan, in der Elp, auf einem Bauernhof. In der Nachbarschaft: zwei weitere Höfe, ein Bächlein mit Forellen, auf den Wiesen glückliche Kühe. Wir sammelten in der Natur Kamille und irgendwelche anderen Medizinpflanzen, denn nach dem Krieg hatten wir kein Geld, und die nächste Apotheke war sechs Kilometer entfernt. Da musste man sich also selbst helfen …“  

Eine Überleitungsfrage, dem großen Interesse des Interviewers an Fischen folgend: „Aber Forellen gibt es hier an der Düssel nicht, oder?“

Knappe Gleim-Antwort: „Doch, aber das erzähle ich dir gleich!“

Der Interviewte hat, so scheint es, einen klaren Plan für diesen Spaziergang. Da müssen sich die Forellen erst mal hintenanstellen. Zum Beispiel hinter der Senfrauke, die er als eine weitere weißblütige Pflanze am Düssel-Ufer identifiziert …

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Die Linden, vor denen wir anschließend Halt machen, sind hingegen fest in der Düssel-Böschung verankerte Dauergäste – und somit langjährige „Begleiter“ von Gleim:

„Genau wie den Feldahorn an der Brücke kenne ich diese Linden schon seit der Kindheit. Die sind ebenfalls mehrstämmig, durften sich also damals relativ frei entfalten.

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Er zeigt auf die noch kleinen Bäume, die alleemäßig am Rande der Düssel stehen, zwischen Spazierweg und Fahrstreifen:

„Da vorne siehst du, wie Linden aussehen, wenn sie kontrolliert gepflanzt werden. Eigentlich war die Heinrichstraße ja immer eine Art Lindenallee, aber durch die Bomben im Krieg sind viele Linden einfach weggeputzt worden, und danach hat die Stadt stattdessen Pappeln gesetzt – wahrscheinlich, weil man etwas schnell Wachsendes haben wollte. Die wiederum sind inzwischen so alt und brüchig geworden, dass sie zum größten Teil gefällt worden sind. Jetzt also wieder Linden …“

Richard Gleim möchte gerne die Straße überqueren, hin zu einem brach liegenden, wilden Grundstück etwas unterhalb des Straßenniveaus. Doch der ein paar Meter breite Grünstreifen vor der Fahrbahn hält ihn auf. Diesmal sind zunächst zwei Pflanzen verantwortlich, die momentan nicht blühen:

„Das hier ist der Spitzwegerich, und daneben steht die Acker-Kratzdistel. Und die beiden da vorne, die kennt jeder: Löwenzahn und Gänseblümchen. Alles Pflanzen, die gerne dort wachsen, wo hin und wieder gemäht wird.“

Wir überqueren den Fahrstreifen der Heinrichstraße und begeben uns auf das „wilde“ Grundstück.

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„Ich glaube, der Grundstücksbesitzer ist verpflichtet, die Fläche hin und wieder zu lichten, sonst würden überall Brombeeren wuchern. Als Kinder haben wir hier oft gespielt. Das war ein Urwald, fast undurchdringlich. Jetzt ist alles ziemlich kahl, weil anscheinend vor kurzem gemäht worden ist. Im frühen Frühjahr, vor ein paar Wochen, konnte man hier noch jede Menge Schneeglöckchen sehen.“

Vor uns: Ein recht hoher Baum mit grünlich schimmerndem Stamm.

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„Das ist ein Ailanthus altissima, auch Götterbaum genannt. Diese Sorte stammt ursprünglich aus China und ist vor langer Zeit als Zierpflanze nach Europa gekommen. Der vermehrt sich rasend schnell. Wahrscheinlich ist er irgendwann von den botanischen Gärten in die Landschaft übergesprungen. Hier gibt es nur diesen einen, aber an anderen Orten kommt er aus alle Ritzen, gerade auf halbwilden Flächen, und verdrängt oft angestammte Arten. Wenn man so einen Baum fällt, sollt man tunlich eine Gasmaske anziehen, sonst drohen allergische Reaktionen. In meiner Zeit als Gärtner habe ich solche Bäume öfter verkauft, heute würde ich das nicht mehr tun.

Wir nähern uns einer Gruppe von blau blühenden Pflanzen, die mehrere Quadratmeter Boden bedecken.

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„Wilde Hyazynthen! Die vielen Brennesseln da vorne weisen übrigens darauf hin, dass der Boden sehr fruchtbar ist.“

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Der Interviewer hat mit Brennesseln schlechte Erfahrungen gemacht, hakt nach: „Die sind ja bei vielen unbeliebt …“

Gleim (gerade dabei ein Hyazynthen-Foto zu machen): „Ja, weil sie halt stechen. Und weil sie als Unkraut gelten und sich schnell ausbreiten.“

Interviewer: „Du hast also ein gutes Verhältnis zu Brennesseln?“

Gleim: „Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu Brennesseln. Die sind lecker, man kann Tee aus ihnen machen, man kann sie aber auch essen, wie Spinat. Es gibt die kleine und die große Brennessel, und die kleine ist küchengeeigneter …“

Interviewer: „…“ (schweigt und beschließt sein eigenes Verhältnis zu Brennesseln zu überdenken)

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Zurück zum Düssel-Ufer. Auf dem Weg noch eine Frage an Richard Gleim: Wie spaziert er durch Düsseldorf, durch Straßen, Parks und Grünstreifen? Legt er sein Augenmerk bewusst auf die die botanischen Inseln mit ihren kleinen Details? Oder passiert alles automatisch, intuitiv, situativ?

Gleim, während er die Straße überquert:

„Ich habe so einen 360-Grad-Blick. Was ich sehe und was mir begegnet, erweckt mein Interesse – oder auch nicht. Ich gehe nicht mit der Idee los, mich bei einem Spaziergang nur auf Pflanzen zu fixieren. Wenn mir eine hübsche Frau über den Weg läuft, dann sehe ich das auch …“

Pause auf einer Bank am Düssel-Ufer. Gleim steckt sich eine Zigarette an.

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„Im Grund hat sich im Umfeld des Flussbetts in diesem Abschnitt seit meiner Kindheit nicht viel verändert. Die Nördliche Düssel fließt heute wie damals eher behäbig dahin, auch nachdem ihr beim Spaltwerk der Kittelbach abgetrennt worden ist. Im Gegensatz dazu plätschert dieser, fließt viel schneller. Unabhängig vom Namen haben wir es hier immer noch mit einem geraden, nicht renaturierten Kanal zu tun. Nur die Eingriffe durch die Stadt – die sind im Laufe der Zeit etwas größer geworden. Es wird mehr gemäht. Ich habe zu Hause noch Fotos, auf denen zu sehen ist, wie städtische Mitarbeiter vor ein paar Jahren die Böschung begradigt haben – mit Maschinen, die auf der Schräge am Ufer praktisch alles platt machen, auch geschützte Pflanzen. Offenbar nach dem Motto: Es muss Ordnung herrschen. Früher haben sie in dieser Hinsicht noch mehr Rücksicht genommen: Es wurde erst gemäht, wenn die Pflanzen ausgesamt haben. Heute erscheint mir das Mähen eher willkürlich …“

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Wir machen uns auf dem Weg zum knapp fünfzig Meter stromabwärts gelegenen Spaltwerk. Gleim erzählt über Biodiversität …

„Generell ist die Vielfalt der Pflanzen in der Stadt größer als auf dem Land. Weil es in der Stadt so viele unterschiedliche Orte gibt, dass auch viele unterschiedliche Pflanzen irgendwo ihre Nische finden. Auf dem Land haben gerade kleinere Pflanzen durch Monokultur und Landwirtschaft oft keine Chance mehr. Diese Tendenz gilt nicht nur für Pflanzen, sondern zum Teil auch für Tiere. So passiert es ja am Rande von Berlin immer wieder, dass Wildschweine durch die Gärten laufen. Und im Hofgarten, in dessen Nähe ich wohne, habe ich schon öfter Füchse beobachtet. Aber natürlich gibt es auch Tierarten, die in der Stadt nichts bzw. nichts mehr zu suchen haben

Es folgt eine passende, wenn auch aus heutiger Sicht fast surreal erscheinende Kindheitsbegegnung:

„Da vorne hinter den Häusern … (er zeigt auf ein Neubau-Ensemble auf der Grafenberger Seite der Heinrichstraße, nahe der eben begangenen Wildfläche) … waren in den 1950er Jahren Kleingärten, und da konnte man öfter Rehe beobachten. Die kamen aus dem benachbarten
Grafenberger Wald und haben immer wieder mal kleine Ausflüge gewagt. Tatsächlich ist der Wald von dort nur noch einen guten Kilometer entfernt. Und durch die Kleingärten war es eine sehr grüne Ecke. Nicht zu vergessen: Damals gab es viel weniger Autoverkehr. Und so sind die Rehe im Winter bis zu den Kleingärten vorgestoßen – vielleicht weil es da noch etwas zu fressen gab, was sie im Wald nicht mehr gefunden haben. Heute werden die Rehe natürlich den Teufel tun und in der Stadt herumspazieren.

Auf einer Litfaßsäule am Rande des Grünstreifens der Heinrichstraße verweilen zwei Enten. Keine Standard-Stockenten, vielmehr solche mit schwarzumrandeten Augen.

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„Mit Tieren kennen ich mich weniger gut aus als mit Pflanzen. Das könnten aber diese asiatischen Enten gewesen sein. Die da vorne hingegen … (er zeigt auf zwei größere Vögel, die am anderen Düssel-Ufer entlang watscheln) … die kennt man ja, das sind die Kanadagänse, die sind inzwischen ziemlich berühmt in Düsseldorf. Der ganze Zoopark ist zugekackt. Wobei: Es sind dafür nicht allein die Kanadagänse verantwortlich, sondern auch noch andere ….“

Von der Fauna zurück zur Flora. Richard Gleim zeigt auf eine Pflanze an der Düssel-Böschung:

„Das ist der unbeliebte Giersch! Wie man sieht: Wenn der einmal da ist, nimmt er recht schnell Flächen ein ….“

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Und nun stehen wir kurz vor der Stelle, wo das Wasser der Nördlichen Düssel am Spaltwerk geteilt wird. Die eine Hälfte biegt im rechten Winkel nach links ab, Richtung Zoopark – und behält den Namen. Die andere heißt fortan Kittelbach, fließt weiter schnurstracks geradeaus – und nimmt nach dem Mini-Wasserfall aber deutlich mehr Fahrt auf als zuvor. Gurgelt, sprudelt, strudelt.

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„Schau mal dort rechts, da fließt das Wasser über diesen überdachten Steg. Der Bereich darunter war in der Kindheit für meine Bande und mich so eine Art Versteck. Im Sommer haben wir hier immer barfuß gespielt, Ende der der 1940er, Anfang der 1950er Jahre. Anfangs haben wir sogar in der Düssel gebadet, aber nur so lange, bis uns die eine oder andere tote Katze entgegen geschwommen kam. Heute würde vermutlich keiner seinen Kindern mehr erlauben, dort unten direkt am Wasser zu spielen. Wir aber hatten damals alle Freiheiten.“

Zwei Halsbandsittiche fliegen kreischend von einem Baum am Düssel-Ufer hinüber auf die andere Seite der Heinrichstraße. Wir spazieren zur Brücke, die kurz hinter dem Spaltwerk das Flussbett (hier schon: Kittelbach) überquert.

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„Die Fußgängerbrücke, auf der wir jetzt stehen, gab es damals noch nicht. Wir haben den Fluss also immer da vorne über alte Brücke direkt am Spaltwerk überquert, die jetzt nicht mehr zugänglich ist. Vor ein paar Jahren habe ich hier, wo wirjetzt stehen und das Wasser aus dem Spaltwerk herausströmt und in den Kittelnach übergeht, einen Jungen gesehen, der geangelt hat. Da habe ich so ein bisschen ironisch rumgefrotzelt: Für Forellen werde es wohl nicht reichen. Es gebe hier doch nur Moderlieschen und Stachelditzkes. Nein, meinte er, hier gebe es Bachforellen, und zwei habe er bereits gefangen an diesem Tag. Die Forellen würden vom Rhein aus den Kittelbach hochschwimmen, und an dieser Stelle würden sie sich sammeln, weil sie wegen des Spalt- und Sperrwerks nicht weiterkämen. Das schien mir glaubwürdig, auch wenn ich mich nicht erinnern kann, hier als Kind jemals eine Bachforelle gesehen zu haben. Klar, jede Menge Moderlieschen, aber die werden ja nur handgroß. Manchmal habe ich bei Niedrigwasser auch ein paar größere Fische rumspringen sehen, die ich aber nicht zuordnen konnte. Und natürlich Stichlinge, die wir gerne gefangen und wieder freigelassen haben. Außerdem gab es viele Blutsauger. Manchmal haben die sogar versucht, sich an einem festzusaugen, aber dann hat man sie eben einfach wieder abgestreift.

Die Düssel war von der Wasserverschmutzung durch Industrieabwässer nie so betroffen wie der Rhein, aber ich kann mich an Vorfälle erinnern, wo Abwässer die Düssel in ein Schaumbad verwandelt haben. Wahrscheinlich ist damals aus Versehen etwas von der Gerresheimer Glashütte in den Fluss gelangt. Ich weiß noch, wie dann die Feuerwehr kam, um Enten und andere Vögel aus dem Schaum zu retten.“

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Gleim zeigt auf den großen Baum, der links von der Fußgängerbrücke das Spaltwerk säumt.

„Das hier ist eine Hainbuche. Die wächst hier so ziemlich wie sie will, in jedem Fall nicht gerade. Sie dürfte inzwischen um die 80 Jahre alt sein, war also schon da, als unsere Bande hier gespielt hat, aber natürlich deutlich kleiner. Hainbuchen sind bei Schreinern durchaus beliebt, aber wenn sie so wild durcheinander wie diese hier wachsen, sind sie handwerklich nicht zu gebrauchen. Von solchen wildwachsenden Hainbuchen ist übrigens auch das Wort `hanebüchen´ abgeleitet. Nach dem Motto: Das ist ja hanebüchen, das kann man nichts mit anfangen.“

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Wir überqueren erneut die Heinrichstraße, diesmal links vom Flussbett, und folgen der Verlauf der beim Spaltwerk abgetrennten Nördlichen Düssel: Über einen Spazierweg, der entlang des Ufers durch ein schmales Grün-Areal führt, Richtung Zoopark.

„Früher war das hier nur ein wilder Trampelpfad und kein offizieller Weg.“

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Richard Gleim entdeckt eine Pflanze am Wegesrand.

„Das ist wilder Knöterich, der ist innen hohl und kann noch viel dicker werden. Er gehört zu den invasiven Arten, breitet sich oft stark aus und verdrängt andere Pflanzen. Als Kinder haben wir uns aus seinen Stengeln prima Blasrohre gebastelt, und die grünen Beeren des Holunders, der hier damals überall wuchs, waren unsere Munition. Damit haben wir uns jede Menge Schlachten geliefert.“

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Neben dem Spazierweg findet sich ein kleiner Teich. Ein Schwan schwimmt darin, und am anderen Ufer ein basketballspielerloser Basketball.

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„Früher gab´s hier auf dem Teich regelmäßig Froschkonzerte, keine Ahnung wie es heute ist. Beim letzten Mal, als ich hier war, hatten sich die Teichhühner in der Mitte aus Ästen eine Art Insel gebaut, zum Brüten.“

Wer möchte, kann dies in einem Eintrag auf Gleims Blog Gnogongo.de nachlesen.

Inzwischen sind mehr als anderthalb Stunden vergangen. Gleim hat noch so Einiges auf dem Plan. Wir beschließen, den Düssel-Spaziergang im Laufe des Jahres einem zweiten Teil fortzusetzen – und kehren an dieser Stelle um, zurück zur Heinrichstraße.

Dabei kommen uns am Wegesrand zwei Gewächse in die Quere: Der Hahnenfuß sowie gleich daneben der blau blühende Ehrenpreis. Ehrenpreis – so heißt die Pflanze wirklich, und wäre man die Düssel, dann würde man Richard Gleim nach diesem Spaziergang umgehend einen ebensolchen verleihen: Eine Würdigung für jahrzehntelange erfolgreiche „Zusammenarbeit.“ Denn vermutlich gibt es in Düsseldorf nur wenige Menschen, die so viele interessierte Blicke auf das Flüsschen und seine Ufer geworfen haben wie er.

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Der Interviewer würde sich freuen, wenn er diesen Düssel-Spaziergang, in dem Gleim so viel aus seiner Düssel-Kindheit erzählt hat, mit einem alten Düssel-Foto Gleims aus eben dieser Zeit illustrieren könnte – und hat Glück:

„Damals war Fotografieren noch eine teure Sache, die sich nur wenige leisten konnten. Daher gab es Fotografen, die sich ihr Geld damit verdienten, auf der Straße gegen Honorar andere Menschen, oft Kinder, zu fotografieren. Man legte damals noch dieses schwarze Tuch über die Kamera, alles sehr aufwendig, das komplette Gegenteil zum Smartphonezeitalter. Lange Rede, kurzer Sinn: So ein Foto habe ich noch irgendwo im Archiv. Ich als Grundschüler, mit Cowboyhut und Spielzeugpistole – die hat mir der Fotograf gegeben – mit der Düssel im Hintergrund. Das werde ich bald mal raussuchen …“

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Bücher von Richard Gleim alias ar/gee Gleim:

Guter Abzug II: Punk in Deutschland. Erweiterte Neuauflage eines zur Documenta 1982 erschienenen Foto-Buches (nur als E-Book, mit Texten von Peter Glaser und Xao Seffchechque)

ZK – DIE TOTEN HOSEN: die frühen Jahre 1980-1983. Der oben erwähnte Begleitband zur 2017er Fotoaustellung.

 

2 Comments

  1. Vielen Dank, das ist ein sehr schöner Beitrag! Ich durfte Richie vor über vier Jahrzehnten kennenlernen, er war ein sehr vielseitig interessierter Mensch. RIP

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