(#32) Erkrather Urwald

in Erkrath/Neandertal/Natur

Wie uns bewusst wird, dass wir ein Drittel hinter uns haben / Warum die Düssel im Grenzgebiet Düsseldorf-Erkrath extrem schwer „flanierbar“ ist / Und warum uns die heutige Etappe keiner nachmachen sollte.

Zwei Jahre machen wir das jetzt schon“, sage ich zu meinem besten Freund P.  Gemeint:Wir flanieren gegen den Strom am Düssel-Ufer entlang, quatschen über unsere Stadt und die Welt, machen dabei Fotos und Filmchen – und verarbeiten das ganze in einem Blog. Rund ein Drittel des Weges von der Mündung in den Rhein bis zur Quelle im Bergischen Land haben wir hinter uns: Mehr als zwei Jahre für gerade mal 15 Kilometer.

„Die Entdeckung der Langsamkeit“, sagt P. in Bezug auf unser Flaniertempo.

„Klingt wie ein Buchtitel“, sagt ich. „Gib zu, die Formulierung hast Du geklaut.“

P. grinst – und schweigt, während wir den Gödinghover Weg entlang spazieren.

„Ihr Scheiß Werber!“, lege ich nach. „Worthülsen auflesen und zum eigenen Vorteil missbrauchen – das könnt Ihr.“

„Halt die Fresse, Lügenpresse!“, sagt P.

Keine Sorge: Wir verstehen uns, und wer das nicht versteht, sollte schleunigst die Blog-Folgen #1 bis #31 nachlesen und zu der Erkenntnis gelangen, dass gegenseitige Beschimpfungen und Ironie ein wichtiges Element unserer Freundschaft sind.

Nach den bisherigen Gerresheimer Grenzerfahrungen wollen wir die Düssel nun erstmals komplett außerhalb des Düsseldorfer Stadtgebiets begleiten. „Out of Gerresheim“, ohne Kompromisse. Schwierig das alles: In den Gödinghovener Düsselauen parken? Geht natürlich gar nicht. Naturschutzgebiet! Also haben wir unsere Autos wie bereits anlässlich der einen oder anderen Etappe nahe der Glashüttenstraße in Düsseldorf-Gerresheim stehen gelassen.

Der Gödinghover Weg also. Stammleser kennen diesen Abschnitt bereits. Rechts von uns: Wald. Links von uns: Wiesen. In etwa 150 Meter Entfernung ist der Verlauf der Düssel auszumachen. Wir lassen die „Brücke von Gödinghoven“ links liegen. Und eigentlich geht die heutige Etappe erst jetzt richtig los: Wir betreten den Kreis Mettmann.

Und wo ist die Düssel? Genauer gesagt: Der Teil der Düssel, der für die heutige Etappe vorgesehen ist? Tatsächlich ist das Ufer unseres Flüsschens hier am Stadtrand deutlich schwerer „flanierbar“ als in der Innenstadt. Verantwortlich dafür: Eingezäunte Felder und Wiesen, flankiert von einer Bahntrasse. Ein „Betreten Verboten“-Schild hält uns nur bedingt auf, ein Zaun auch nicht, ein nicht auszuschließender Intensivkontakt mit Pferden oder Kühen aber schon. Ebenso ein nahe gelegener Bauernhof. Und eine Bahntrasse sowieso. Wollen ja keinen Ärger. Und gesund bleiben.

Jedenfalls gab es gegen Ende der vorhergehenden Etappe, an der Dammer Mühle, keine Chance, der Düssel weiter flussaufwärts zu folgen. Deswegen wollen wir uns ihr heute von der anderen Seite nähern. Ziel wie immer: So nahe wie möglich ran an den Fluss. Na dann los …

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Der Gödinghover Weg verläuft nun an der Zufahrt eines Bauernhofes vorbei: Gut Klein Düssel. P. googelt den Namen – und liest vor: Neben unserer Landwirtschaft haben auch einige Künstler ihre Wirkungsstätte auf unserm Hof. Zusammen veranstalten wir auf  dem Hofgelände verschiedene Kurse für Groß und Klein, z.B.  Kindervoltigieren und verschiedene Kinderevents (Mal- und Steinmetzkurse, Kindergeburtstage und Ferienangebote) sowie Ausstellungen.

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Weiter, den Hof links liegen lassend. Zwischen uns und der Düssel: laut Karte circa 500 Meter. Dazwischen: eine Bahntrasse. „Wenn wir die überwinden, ist das Ufer unseres Flüsschens nur noch eine Wiese weit entfernt“, sage ich und zeige auf einen vorbei brausenden Zug.

Wir erreichen ein schiefes „Naturschutzgebiet“-Schild, an dem ein durch Traktorenräder in die Wiese geprägter Weg nach links abzweigt. In der Kartenansicht auf Google Maps sieht er viel offizieller aus als er tatsächlich zu sein scheint. „Bei den Schilfhalmen da vorne liegt die Alte Düssel, und wenn wir der folgen, gelangen wir eventuell auf die andere Bahntrassenseite.“

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„Alte Düssel?“  P. schaut mich fragend an.

„Scheint so eine Art Altarm zu sein. Ein Flussbett, dass die Düssel früher mal benutzt hat.“ Ich zeige auf den weiteren Verlauf. „Mündet da vorne in die Düssel.“

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P. macht einige iPhone-Fotos. „Schau mal, von hier aus kann man sogar den Rheinturm sehen“, sagt er, als wir die Mitte des Wiesenweges erreichen.

„Mag sein“, sage ich. „Aber wenn wir das später im Blog posten, ist er so klein, dass die Leser ihn mit einer Lupe suchen müssen. Ein Rheintürmchen …“

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Kurz vor der Bahntrasse geht der Wiesen-Traktor-Trampelweg plötzlich in einen aphaltierten Abschnitt über, der parallel zur Trasse verläuft. Er führt … direkt ins Wasser. Und anders als auf Google Maps eingezeichnet nicht unter der Bahntrasse hindurch.

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„Okay, die Alte Düssel hat sich hier so breit gemacht, dass es kein Durchkommen gibt“, sagt P., angesichts der komplett mit Wasser bedeckten Unterführung. „Fußgänger sind hier wohl nicht vorgesehen.“

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„Wer weiß, vielleicht wären wir hier vor ein paar Wochen sogar noch durchgewatet, so wie letztens beim Brückerbach“, sage ich – und spiele auf eine Blog-Sonderfolge außer der Reihe an, die auf The Düsseldorfer erschienen ist.

Es gibt immer einen Weg: Zurück zum Gödinghover Weg also und weiter parallel zu den Bahngleisen halten …

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Nach ein paar Hundert Metern erreichen wir eine graffitiverzierte Fußgängerbrücke, die uns endlich den Übertritt auf die andere Seite ermöglicht.  Eine rote S-Bahn saust vorbei. Am Brückengeländer fotografieren wir einen Aufkleber: „Neanderlandsteig.“ Offizielles Wandergebiet.

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Ein Blick Richtung Rheinturm:

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Auf der anderen Brückenseite schmiegt sich der Weg in eine Kurve, passiert einen Holzhandel.

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An einem alten Baum, auf dessen Brust ein himmelblaues Holzkreuz genagelt ist, biegen wir links ab – und entdecken, an einem Strommast, den nächsten „Neanderland Steig“-Button. Die offizielle Wanderroute scheint auch Zweiradfahrer anzuziehen. Schon zum zweiten Mal rast ein Ü-60-Mountainbiker in voller Montur an uns vorbei.

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„Bei dem Tempo bekommt der doch gar nichts mit von der Natur“, motzt P. – und hat inkonsequenterweise dabei sein iPhone in der Hand. „Wir, als Vertreter des lahmen Fußvolks, bekommen immerhin mit, dass wir laut Google Maps gerade erneut die Alte Düssel überqueren.“

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„Seien wir ehrlich“, sage ich, „Flaneure, die andauernd mit dem Smartphone hantieren – das passt in etwa so gut zusammen wie autogenes Training zum Ballermann. Frag Dich mal, wie oft wir etwas nicht bekommen, weil wir gerade irgendeine Info googeln statt mit allen Sinnen die Natur zu genießen …“

„Mann, Du bist aber korrekt heute“, sagt P. grinsend, „aber wie sagt man so schön: Das Leben ist voller …“

„Phrasenschweine!“

Dann, an der übernächsten Kurve, teilt sich der Weg. Auf der einen Seite weist ein Schild mit Fahrradsymbol die Richtung nach Mettmann (8,0 Km), ins Neandertal (5,0 Km) und nach Erkrath-Zentrum (1,7 Kilometer). Nur doof, dass diese Schildseite komplett zum zugewucherten Waldrand hin ausgerichtet, also vom Rad aus nicht lesbar ist.

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Auf der sichtbaren Schildseite werden die Ziele angepriesen, die wir schon hinter uns haben: D-Gerresheim (1,6 Km) und D-Vennhausen (1,3 Km). Wobei man sich laut Schild direkt in den Wald begeben und durchs Unterholz schlagen muss, um nach Vennhausen zu gelangen. Da hilft auch kein Moutainbike …

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Mein bester Freund P.  stellt sich vor das Schild, schaut es zwanzig Sekunden an, umkreist es – und gelangt zu einer bahnbrechenden Erkenntnis: „Da ist wahrscheinlich mal ein Traktor oder so gegen gefahren. Wenn man das Schild um 180 Grad dreht, stimmen die Richtungen wieder.“

„Vielleicht sollten wir mal bei der Stadt Erkrath Bescheid sagen, dann können die das Ding wieder gerade biegen“, sage ich.

Wir orientieren uns in keine der erwähnten Richtungen, sondern biegen links ab, folgen somit weiter dem Gödinghover Weg. „Gleich treffen wir auf die Düssel“, kündige ich an – und behalte recht.

Vorher allerdings passieren wir noch eine Skateboardbahn. „Ist ja unmenschlich“, murmelt P. „Auf einer einsamen Wiese aussetzen – und dann auch noch einen Käfig drumherum bauen.“

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Eine Minute später stehen wir auf einer Brücke mit grünem Geländer und betrachten die Düssel, die hier entlang eines schlammigen Ufers gemächlich fließend Richtung Düsseldorf unterwegs ist. Überraschung: Neben der Brücke hat diesmal nicht der „Neanderlandsteig“, sondern der Sauerländische Gebirgsverein einen Sticker hinterlassen. Offenbar befinden wir uns auf Wanderweg „D“, oder so ähnlich.

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„Diese Wanderwegsimperialisten mit ihren Aufklebern kommen mit vor wie Hunde, die überall das Beinchen heben, um zu markieren“, sagt P. „Neanderleidsteig passt ja. Aber das Sauerland ist schon ziemlich weit weg von hier. Was kommt als nächstes? Ein Sticker vom Deutschen Alpenverein?“

„Vielleicht wollen Sie den Wanderern einfach nur helfen?“, gebe ich zu bedenken.

„Ist ja auch scheiß egal!“ P. winkt ab. „Lass uns mal lieber überlegen, wie es weiter geht. Scheint, dass wir hier entweder abbrechen oder ausnahmsweise stromabwärts weiterlaufen. Das hatten wir ja schon mal …“

Tatsächlich haben wir den angepeilten Düssel-Abschnitt, der unser Ziel war, viel weiter flussaufwärts erreicht als erhofft. Die Folge: Fast ein Kilometer kurvenfreudiges Düssel-Ufer, uninspiziert.

„Wenn wir ausnahmsweise der Fließrichtung folgen, müssen wir da rüber springen“, sage ich und weise auf den etwa zwei Meter breiten Bach, der rechts von der Brücke in die Düssel mündet. Ein kurzer Smartphone-Check – und wir wissen seinen Namen: Rotthäuser Bach.

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Gesagt, getan. Den Rotthäuserbach-Sprung schaffen wir so gerade noch. Aufgrund der fehlenden Anlaufstrecke hätte er aber auch keinen halben Meter breiter sein dürfen. In jedem Fall gilt: Was hier gerade passiert, ist wahrscheinlich verboten und sollte auf keinen Fall nachgemacht werden.

„Wären wir Mitglied in einem Wanderverein, würden die uns wahrscheinlich rausschmeißen“, sagt P. „Von wegen im Naturschutzgebiet abseits der offiziellen Wege unterwegs und so …“

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Wir folgen der von Büschen und Bäumen umgebenen, durch eine Wiese fließenden Düssel. So wild wie hier haben wir sie bisher noch gar nicht erlebt. P. macht ein kurzes Filmchen. Jenseits der Wiese ist in in der Ferne die Landstraße zu sehen, die Düsseldorf-Gerreseheim mit Erkrath verbindet (Kurzer Google-Check: Sie heißt Düsseldorfer Straße). Gelegentlich hört man entfernte Motorengeräusche. Ansonsten: von Vogelzwitschern unterbrochene Stille.

Am Ende der Wiese verschwindet die Düssel im Wald. Dichtes Gehölz, nicht mal ein Trampelpfad ist zu sehen. Der Erkrather Urwald, sozusagen. Im Frühjahr und Sommer wären wir hier wohl gar nicht weitergekommen.

Jetzt, im Herbst, haben Sträucher, Gräser und Unterholz schon etwas an Volumen verloren. Und so schaffen wir es, uns durch zu schlagen. Immerhin scheinen wir nicht die ersten Eindringlinge zu sein: Auf dem feuchten Boden sind Spuren zu erkennen. Wir folgen ihnen. Immer wieder müssen wir über umgestürzte Bäume klettern oder uns unter ebensolchen hindurchzwängen.

Am Fluss entlang zu spazieren, ist weitgehend unmöglich. Zu dich ist die Düssel in diesem Abschnitt zugewuchtert. Wir sind froh, dass wir überhaupt vorwärts kommen. Immerhin: Zwei mal schaffen wir es bis zum Ufer, zwei Mal macht P. einen Clip. Dann haben wir genug vom Urwald:

Durchgeschwitzt und schmutzig sind wir, und Zeit haben wir auch nicht mehr viel.

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„Sieh es mal so“, sagt P., als wir am Rande der Düsseldorfer Straße stehen und auf die Düssel schauen, die vom Wald befreit Richtung Dammer Mühle fließt. „Weil wir diesen Erkrather Düssel-Urwald jetzt dokumentiert haben, muss ihm außer Förstern und Jägern nie wieder einer betreten.“

„Fürwahr, eine historische Leistung“, sage ich. „Naturschutz pur!“

„Tu mir einen Gefallen“, sagt P., als wir an der Landstraße das gelbe Schild mit der Aufschrift „Düsseldorf“ erreichen, Erkrath also offiziell verlassen. „Schreib im Blog nicht, dass wir jetzt wieder zu den Autos zurückspazieren. Das kann sich doch sowieso jeder denken, oder?“

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