Eine Düssel-Kindheit in Hochdahl-Millrath

in Erkrath/Neandertal/Gastbeiträge/Natur

Der Düsseldorfer Andrew Uhlemann ist in Hochdahl-Millrath aufgewachsen, am Rande des Neandertals. Für das Blog Düssel-Flaneur hat er sich in alten Fotoalben und vor Ort, am Ufer der Düssel auf Spurensuche begeben – und dabei gemeinsam mit Hündin Daisy eine gehörige Portion “Magie” getankt.

Der S-Bahnhof Hochdahl-Millrath. Ein Knotenpunkt? Man könnte es so sehen, denn zum Einen trennt die S-Bahn-Strecke S8 (Mönchengladbach/Neuss-Wuppertal/Hagen) den Stadtteil Millrath vom Neandertal, und zum anderen trennt er die Menschen drumherum in zwei Gruppen: Menschen, die nördlicher wohnen – also alle ab Gruiten und weiter nördlich – fühlen sich eher zu Wuppertal hingezogen. Und alle, die südlicher wohnen – also Hochdahler und Erkrather – fühlen sich eher Düsseldorf zugehörig.

Na ja, so kam mir das jedenfalls seit meinen Kindertagen vor. Und diese erlebte ich zunächst tatsächlich in unmittelbarer Nähe zum S-Bahnhof. Dort wohnten wir. Oma und Opa und meine Mutter waren sogar in Millrath geboren, ihre drei Geschwister ebenfalls. Ich besuchte den Kindergarten, und mit meinem Vater, einem passionierten Naturfreund, Angler und Wandersmann, ging es in der 1970er Jahren bei jeder Gelegenheit hinein ins nahe Neandertal.

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In Millrath gab und gibt es drei oder vier Tunnel, die den direkten Durchgang – unter der S-Bahn hindurch – von der Zivilisation in die pralleste Natur ermöglichten, und wir wechselten aus irgendeinem Grund zumindest gefühlt jedes Mal die Route. Zum Ziel hatten wir eigentlich immer die Düssel.

Die S-Bahn-Trasse verläuft ganz oben auf dem Bergkamm, und geht man von da aus durch einen der Tunnel, dann erreicht man nach einer mehr oder weniger langen Geraden immer unten und im Tal: die Düssel. Dort hat man dann zwei Möglichkeiten: Man spaziert nach rechts, flüsschenaufwärts Richtung Wanderklub und Winkelsmühle oder noch weiter nach Gruiten, mal rechts und mal links von der Düssel. Oder man geht flüsschenabwärts Richtung Wildgehege und Neanderthal-Museum und weiter Richtung Erkrath.

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Diese Düssel-Runden habe ich unzählige Male gemacht – und vor allem das ganze Jahr durch. Also im Frühling angefangen, inmitten seiner unglaublichen Wachstumswucht. Über den Sommer hin, mit gleißenden Feldern und einladenden Wiesen. Im Herbst, zwischen Beeren, Pilzen und Laubschlachten. Und natürlich auch im Winter mit Schneemännern, Schlittenfahrten und ersten Skiern der (orthopädisch gesehen) übelsten Sorte.

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Die Düssel war dabei immer organischer Leitfaden und Orientierungspunkt, denn ohne “ihr” mal guten Tag gesagt zu haben, war ein solcher Spaziergang einfach nicht “rund”, und so kannte ich nahezu jeden Meter des Flusslaufs: hier ein kleiner Strudel oder eine Kiesbank, da ein Gumpen (Wiki sagt: “Als Gumpen werden überwiegend beckenartige Strudeltöpfe bezeichnet, die von Sturzbächen in den felsigen Untergrund eines Bachbetts erodiert werden.”), dort eine Baumwurzel, deren feuerrote Verästelungen seicht im Wasser wogen und Bachflohkrebsen, Flusskrebsen oder Forellen Unterschlupf gewährten.

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Eine Stelle war bei den Besuchen – ich schätze rückblickend es währte nur beinen Sommer lang – immer von ganz besonderem Interesse: Eine Art S-Kurve im Flussverlauf zwischen Wanderclub und Wildgehege. Die Düssel verläuft sich dort – aus einer langen Geraden kommend – in einen mehrere Meter im Durchmesser zählenden Strudel, an dessen Ausgang rechts und links ein von Menschenhand errichtetes Gemäuer den Weiterverlauf etwas staut und somit das beengt durchfliessende Wasser nicht unerheblich beschleunigt. Das führt dazu, dass in sich das Wasser in den nächsten Kurven weitläufig beruhigt und Sand und Kiesablagerungen einen seichten Zugang zum Gewässer ermöglichen.

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Diese Laune der Natur war für mich besonders erfreulich,  nachdem ich erst durch kindshohen, großblättrigen und fabelartigen Urwald stapfen musste, um überhaupt ans Ufer zu gelangen. Denn ansonsten ist die Düssel auf diesen Metern durch den jahreszeitlichen Wechsel von Hochwasser und Normalstand eher schroff und ungemütlich bis gefährlich zu begehen. Davon abgesehen war es ja auch gar nicht vorgesehen, dort rumzukraxeln, da die Region ein Naturschutzgebiet war (und ist) und ein Angelverein über den Abschnitt wachte.

Aber an diese Stelle konnte man eben ins Wasser waten und wühlen, graben, stauen und entdecken, ohne Gefahr zu laufen in ein Wasserloch zu fallen oder gar abgetrieben zu werden, was einem Fünf- oder Sechsjährigen an anderer Stelle durchaus hätte passieren können. Highlight dieser Tage waren eine metallene Schöpfkelle und ein Eimerchen, welche wir dort unten gefunden hatten. Sie wurden jedes Mal gut, nein, sehr gut versteckt und bei jedem weiteren Besuch natürlich auch wiedergefunden und ausgiebig benutzt. Klar, dass dieses Szenario in meinem geistigen Bilderbuch, Abteilung “besondere Kindheitserlebnisse”, einen Ehrenplatz ergattert hat.

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Kommen wir noch einmal zurück zu dem bereits erwähnten Gemäuer, welches den ersten Gumpen vor besagter S-Kurve aufstaut. Der allzeit unüberwindbare Abstand der beiden Mauerköpfe beträgt geschätzt zwei Meter, es gibt aber weder Anzeichen von einen ehemaligen Wehr, noch von einer kleinen Brücke. Dennoch hatte ich schon immer das Gefühl, dass Menschen irgendwann einmal ganz lange und hart für etwas gearbeitet haben, was jetzt nicht mehr da ist. Nur noch Fragmente als Zeitzeugen. Irgendwie magisch. Wenn man bedenkt, dass das gesamte Neandertal als Fundstätte des Namensgebers mit den vielen Höhlen und Kalksteinbrüchen, Lianen und Natur im Überfluss für mich als Kind sowieso komplett magisch strahlte, war dies um so mehr ein ganz besonderer Ort. Mittlerweile hat eine weitere Erkenntnis diesen Eindruck verfestigt, denn ich habe von meinen Onkeln und meiner Mutter erfahren, dass sie und viele Kinder aus dem damaligen Dorf Millrath an eben dieser Stelle schwimmen gelernt haben. Das Wasser wurde zwischen den beiden Mauern mit Brettern und Baumstämmen aufgestaut, und damit war für die Kinder ein kleiner “See” zum Baden entstanden. Das muss so um die Jahre des Kriegsendes gewesen sein.

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Ich bin dieser Tage – ausgehend vom S-Bahnhof Millrath – nach langer Zeit wieder einmal auf meinen alten “Düssel-Pfaden” gewandelt, und auch wenn sich natürlich die erinnerten, kindlichen Proportionen der Natur arg zusammengezogen haben (jeder kennt wohl das Phänomen), so ist für mich vor Ort alles noch so wie vor 45 Jahren – undvielleicht für meine Mutter und Ihre Brüder so wie vor 75 Jahren. Die (in diesem Blog-Beitrag zu sehenden) Fotos zu meinem kleinen Ausflug habe ich Ihnen noch nicht gezeigt, und ich bin gespannt, ob sie das ähnlich sehen und kann ihre Reaktion hier vielleicht zu einem späterem Zeitpunkt noch einmal nachreichen. Meiner felligen Begleiterin Daisy möchte ich rückwirkend danken, ich glaube sie hat an unserem “Düssel-Wandertag” auch eine gehörige Portion Magie getankt und mir wie immer wohlwollend zur Seite gestanden.

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Über den Autor: Andrew Uhlemann ist die ersten Jahre in Hochdahl-Millrath aufgewachsen, bis es ihn nach dem Abitur die Düssel hinunter trieb, ins dazugehörige Dorf. Viel Zeit der frühesten Kindheit hat er im Neandertal verbracht, was sicherlich zu seiner anhaltenden Naturbegeisterung und Angelleidenschaft beigetragen hat. Er ist heute Freelancer für Text, Medien und Internetgedöns. Unter anderem betreibt er das Popkulturportal   triggerfish.de.  Mit der Band Hack Mack Jackson ist er auch selbst musikalisch unterwegs.

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