Kleines Gemälde mit „großer“ Geschichte

in Düsseldorf/Popkultur

Es hing zehn Jahre bei mir im Büro, und ich wusste fast nichts über das winzige Porträt, das womöglich einen Rabbi zeigt. Dann brachte ein facebook-Posting die Wende.

Es ist winzig, vielleicht fünf bis sechs Zentimeter im Durchmesser, und dünn wie eine Sperrholzplatte. Nein falsch, es ist sogar noch dünner. Jedenfalls: Es zeigt einen älteren Mann mit Mütze und weißem Vollbart, der ein wenig aussieht wie ein Rabbiner. Und es gehörte mal meinen Großeltern, hing dort jahrzehntelang in einer kleinen Kammer an der Wand, war quasi festes Inventar ihrer Wohnung in Düsseldorf-Pempelfort. Bei jedem Besuch bei den Großeltern schaute ich es an – nicht bewusst, eher mit halbem Auge. Nie fragte ich nach, woher das Bild stammt oder wer es gemalt hat. Ich bin kein Kunstkenner, ich fand das Bild schön, aber es interessierte mich damals nicht wirklich. Es war einfach da …

Trotzdem war mit sofort klar, dass ich genau dieses Bild an mich nehmen musste, als es darum ging, die Wohnung der Verstorbenen aufzulösen. Es mag kitschig klingen: Aber wenn ich das Bild des Vollbartmannes betrachte, sehe ich meine Großeltern, und ich sehe ihre Wohnung, in der heute längst andere wohnen, deren Namen ich nicht kenne. Vor ein paar Wochen nahm ich das Bild nach langer Zeit mal wieder zur Hand, und mir fiel auf, dass die Rückseite des Rahmens mit allerlei ziemlich alt wirkenden Schriftzeichen beklebt ist. Ein wilder Mix, der meine Neugier weckte. Spontan machte ich je ein Foto von Bild und Rahmen und postete das Ganze zusammen mit einem (nicht öffentlichem) Aufruf in meine private facebook-Chronik:

„Vor Ewigkeiten habe ich das Bild aus dem Nachlass meiner Großeltern gerettet. Leider habe ich sie zu Lebzeiten nie nach der Geschichte des Bildes gefragt. Ich weiß also nicht, woher es stammt, wer es gemalt hat, wie alt es ist. Aber vielleicht gibt es hier ja Kunstexperten, die es ein wenig einordnen können?“

Eine selbst künstlerisch aktive facebook-Freundin bewies großartigen Spürsinn und schrieb: „Wenn ich es noch recht entziffern kann, steht links „…B/W-Schake“, danach die Lautschrift und das Nachfolgende (lat. / dt.?) lässt drauf schließen, dass ein „Ra“ fehlt. Das hebräische Wort heißt also „Raw-Schake“. Das Wort Rabbi kommt übrigens vom Wort „raw“ – das heißt so viel wie „Großer, Bedeutender“. Der „Rabschake“ war ein Mundschenk, womöglich das Sujet: https://de.wikipedia.org/wiki/Rabschake . (…) Was gegen das als Sujet spricht, ist die moderne Kleidung und Aufmachung des Mannes. Das könnte auch das Portrait eines Rabbis sein. Und mit dem text nichts zu tun haben! Es scheint auf die Rückseite des Bildes einfach eine Buchseite geklebt worden zu sein, die von der Typografie her älter als das Bild wirkt (soweit man das von einem Foto her sagen kann). Könnte die Jahreszahl ganz oben DCLVII… sein? Auf alle Fälle handelt es sich offenbar um das theologische Lexikon des Gregorius Gregorius Francus aus dem 17. Jhdt. (wenn es kein Nachdruck ist) – allein das eine Sünde zu zerfleddern. 😉 Das war mehrsprachig, hebräisch, griechisch, lateinisch. Die Seite 546 kannst du vielleicht hier finden: https://books.google.fr/books?id=o-5e1tuwaYkC… – da geht es um Eunuchen.“

Ihr Fazit: „Ich vermute also, der Text bringt nicht weiter, das war einfach nur zum Schutz aufgeklebt.“

Ich antwortete, dass ich inzwischen vermutete, dass meine Großeltern das Bild bei einer ihrer Studienreisen (oder war es nur eine einzige? Keiner weiß es mehr …) nach Israel in den 1970ern oder frühen 1980ern gekauft haben könnten.

Ein weitere facebook-Freundin, ebenfalls künstlerisch aktiv, riet: „Vielleicht fragst Du zusätzlich einen Kunsthistoriker von einem Museum? Das Papier hätte ich auch nur als geklebte Rückseite angesehen, aber es hatte vielleicht für den Maler oder Einrahmer oder Besitzer eine Bedeutung?“

Schließlich erreichte mich auch noch die private facebook-Nachricht eines alten Bekannten mit guten Kontakten. So bekam ich die Chance, die Fotos des Bildes Profis zukommen zu lassen, die tagtäglich damit beschäftigt sind, Kunstgegenstände einzuschätzen.

Kurz darauf wurde mir ein ausführlicher Expertenkommentar eines Kunstkenners weitergeleitet.

Tenor: Vermutlich handele es sich um eine Reproduktion. Die Klammern auf der Rückseite würden auf die 1970er Jahre hinweisen. Das Bild sei altmeisterlich gemalt, aber leider nicht wertvoll. Der Wert sei zwischen 50 und 70 Euro einzuschätzen – aber auch nur dann, wennn man überhaupt einen Käufer fände, der sich speziell für solche Gemälde interessiert. Das Bild sei auf Pappkarton gemalt, der Karton scheine etwas älter als der Rahmen zu sein. Der Rahmen weise wiederum ein neuartigeres Profil auf, was die 1970er bestätigen würde. Das Motiv zeige wohl einen „alten Arbeiter“ und sei so oder so eher schwer verkäuflich.

Verkaufen wollte ich das Werk ja ohnehin nicht, aber es tut gut, nun etwas über das Bild zu wissen. Man könnte sagen: Ich und das Bild – wir sind uns noch näher gekommen. Anders gesagt: Ein für den Kunstmarkt „wertloses“ Gemälde hat eine für mich wertvolle Geschichte erhalten. Darüber ist diese Geschichte nicht nur die eines Bildes, sondern auch eine, die zeigt, welche positiven Effekte Social Media haben kann …

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

Latest from Düsseldorf

Go to Top